Der evangelische Papst?

(Lesezeit 40 Minuten)

Papst Franziskus und die gemeinsame Eucharistie für konfessionsübergreifende Paare – Ökumene und Gewissen ernst nehmen!

Dieser Titel hört sich wie eine Provokation an, auch wenn hinter dem „evangelischen Papst“ ein Fragezeichen steht. Und so ist der Titel ja auch gemeint: Er soll provozieren und so zum Nachdenken einreden – freilich nicht als Vereinnahmung durch einen Lutheraner wie mich sondern als ein Zitat. Es war nämlich der Jesuit Andreas Batlogg, der seinen Rückblick über die ersten fünf Jahre von Papst Franziskus so betitelte.
Und das aus gutem Grund:
Evangelisch heißt nichts weiter als „dem Evangelium entsprechend“ und bezieht sich vielfach im Anschluss an Paulus auf das Leben und den Glauben Jesu Christi und seine Botschaft. In diesem Sinne soll dieser Begriff verstanden werden; auch wenn er als Synonym für protestantisch angewandt wird. Dabei möchte ich hinzufügen das viele evangelisch mit lutherisch gleichsetzen. Das macht ja auch Sinn; und tatsächlich werde ich ausführlich darüber berichten, wie sehr sich Franziskus im Christus-Jahr 2017 Luther gegenüber öffnete, als wir 500 Jahre des Thesen-Anschlages von Wittenberg begingen. In diesem Sinne hat auch der frühere Präfekt der Glaubenskongregation Gerhard Ludwig Kardinal Müller den Begriff evangelisch in einem Gespräch verwandt, als er mir sagte, zunächst einmal sei es ja wohl selbstverständlich, als Pastor das Evangelium zu verbreiten, mithin im gewissen Sinne evangelisch zu predigen, und es komme auch kein Katholik drum herum festzustellen, dass Martin Luther das besonders gut getan hätte.

Aber warum kann man diesen Papst evangelisch nennen?
Franziskus gab sich nicht ohne Grund den Beinamen des heiligen Franziskus von Assisi, der sich nach dem Evangelium bewegen wollte und so das Evangelium predigte. Auch dem Papst ist das Evangelium wichtiger als die katholische Tradition der Kirche. Er will der Chef einer sich immer erneuernden Kirche sein. Im Weiteren lebt Franziskus auch praktisch in der Tradition seines Namensgebers, zieht Armut und Bescheidenheit vor. Das lässt ihn als Südamerikaner auch zu seiner Kapitalismus-Kritik kommen, bei der nach meiner Kenntnis der Umstand zu Grunde liegt, dass er nur den Begriff Marktwirtschaft kennt und so zu dem Diktum kommt „Wirtschaft tötet“. Den Begriff von der sozialen Marktwirtschaft aber lernt er erst langsam kennen.

Das vorab zum Titel. Und hier meine Gliederung: Lassen Sie mich zunächst ein wenig über den Arbeitsstil und meine Begegnungen mit dem Papst berichten;
dann die Frage zu beantworten suchen: Was will der Papst?
und im dritten Teil möchte ich darüber sprechen, dass man diesen Papst natürlich auch deswegen evangelisch nennen könnte, weil er sich der Ökumene in besonderer Weise öffnet
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Wer ist dieser Papst?
Papst Franziskus hat uns – wie JPII und BXVI – in Rom in der lutherischen deutschen Christuskirche besucht. Das war am 5.11, 2015 und Gastgeber war damals Pastor Jens-Martin Kruse, mittlerweile Hauptpastor an Sankt Petri in Hamburg. Bei dieser Vesper fragte damals der neun Jahre alte Sohn von unserem Pastor, Julius Kruse den Papst: Was machst Du gerne an deinem Amt?
„Was mir gefällt, ist Pastor, Priester zu sein! Das möchte ich. Mir gefallen nicht die Büroarbeiten, das Protokoll, Interviews, – natürlich das nicht hier nicht; das ist familiär. Messe mit den Kindern, Dialog mit den Kindern, das ist wunderbar. Ihr stellt keine theoretischen Fragen. Mir gefällt es mit euch zu sein, man lernt viel davon. Ich bin gerne im Dienst bei den Kranken, Verzweifelten, Armen aber auch mit Gefängnisinsassen, wo ich mich dann frage: „Warum sitzen die drin – und nicht ich.“ Dann bin glücklich über die Liebe Gottes, die mich gerettet hat. Ein Papst kann nur seinen Dienst erfüllen, wenn er dabei glücklich ist.“
Ich habe diese Sätze an den Anfang meines Vortrages gestellt, um Sie mit diesem Papst ganz direkt und anschaulich vertraut zu machen. Papst Franziskus ist kein Theologe aus Deutschland sondern ein Pastor aus Südamerika, dem die Frohe Botschaft, das Evangelium das Allerwichtigste ist. Wer den Film von Wim Wender kennt, weiß, was ich meine. Franziskus ist geprägt von der Erfahrung einer Diktatur in seiner argentinischen Heimat und durch die Begegnung mit den Menschen in den Armutsquartieren. Im Weiteren ist Franziskus der erste Papst nach JP II und BXVI, der keine persönliche Erinnerung mehr an das II. Vatikanische Konzil hat, wohl aber aus einer Kirche stammt, die dieses Konzil besonders ernst nimmt: So wie B XVI. als der wichtigste Interpret des Konzils in Deutschland gilt, sieht man in Südamerika Franziskus als den wichtigsten Interpreten. Schließlich treibt den Papst die heimatliche Erfahrung um, dass evangelikale Gruppen dort immer stärker werden. Das missfällt ihm, auch wenn der freundschaftlichen Kontakt zu Pastoren jener Gruppen sucht.

Persönliche Begegnungen mit dem Papst
Ich habe Papst Franziskus mehrere Male getroffen. Wer ihm die Hand reicht, der merkt, dass dieser Mensch einem direkt ins Herzen guckt, nicht nur mit den Augen sondern von Herz zu Herz. Aber er hat bei nach Geld, Person oder Amt „starken“ Gesprächspartnern auch einen fordernden Blick. Der Papst sieht in ihnen einen möglichen Partner, um gemeinsam Armut und Leid zu bekämpfen. Dieser Papst interessiert sich nicht für Rang und Ehren. Ihn interessierte bei der entsprechenden Audienz zB. nicht, dass Prinz Oskar v Preußen, der Herrenmeister unseres Johanniterordens, ein Nachfahre des deutschen Kaisers ist. Aber als ihm Prinz Oskar von der Arbeit der Johanniter berichtete, konnte er davon nicht genug hören; und dass die Johanniter im schlichten dunklen Anzug erschienen und nicht in Paradeuniform wie die katholischen Malteser, gefiel Franziskus besonders gut.
Ich habe mich bei den ersten beiden Treffen mit dem Papst als Korrespondent der FAZ vorgestellt. Das sagte ihm nichts. Interessierte ihn auch nicht. Die letzten Male brauchte ich mich nicht mehr vorzustellen; denn er hatte behalten, dass ich zur Gemeinde von Pastor Kruse gehöre, den er einmal vor allen anderen bei einem Treffen in St. Paul vor den Mauern als einen „pastore bravo“ bezeichnet hatte. Also als ein Vorbild für andere Pastoren. Papst Franziskus interessiert Menschen und ihr Tun, und er lädt andere dazu ein, mit zu tun.

Papst und Kurie
Damit erklärt sich schon vieles über seinen Umgang mit der Kurie. Nicht nur haben wir ja schon beim Gespräch mit Julius in unserer Christuskirche erfahren, dass ihm Bürokratie und Schreibtisch keinen Spaß machen. Die Kurienmitarbeiter sollen den Papst stärker in seiner Pastoral unterstützen. Die selbstbezogenen Rituale der Kurie stoßen Franziskus ab. Der Papst ist wohl kein besonders guter Bürochef, aber er lässt andererseits Leute wie Kardinalstaatssekretär Parolin auch nicht unbedingt allein alles besser machen. Der Papst mischt sich ein.
Zudem ist der Papst auch in der Kurie vor allem Seelsorger und versieht so den gescheiterten Bischof von Limburg mit einem Posten im Amt für die Neuevangelisierung, wo er (übrigens) einen guten Job tut.
Zum Ärger des Präfekten im Päpstlichen Haus, Erzbischof Georg Gänswein, sprengt der Papst gerne protokollarische Grenzen. Er telefoniert selber. Er fühlt sich nicht an den bürokratischen Gang der Dinge gebunden. Ok, Kurienmitglieder können ihn beraten, seine acht auserwählten Kardinäle auch. Aber er hat vor allem ein persönliches Netz um sich, dazu gehört nicht zuletzt der Chefredakteur der Jesuitenzeitschrift, „La Civiltà Cattolica“, Antonio Spadaro.
Mir ist nicht klar, ob der Papst über eine gute Menschenkenntnis verfügt; bei der Ernennung von Kardinal George Pell als Chef der Finanzkommission 2014 war er wohl in Bezug auf dessen mögliche Verwicklung in Missbrauchsskandale vorgewarnt. BXVI soll ihn schon auf diesen Vorgang hingewiesen haben. Dennoch vertraute Franziskus Pell, der letztlich zu einem theologischer Kritiker des Papstes wurde und obendrein als Finanzchef versagte. Jetzt steckt Pell in einem Missbrauchsprozess in seiner australischen Heimat fest und kehrt nicht mehr an seinen Posten nach Rom zurück.
Auch Kardinal Gerhard Ludwig Müller vertraute der Papst, obwohl er hätte wissen können, dass sich dieser Theologe, übrigens ein besonders guter Kenner der Ökumene und des deutschen Lutheranern und Widerstandskämpfers Bonhoeffers, niemals zurückhält sondern sein Amt als Chef der Glaubenskongregation als Bühne für sich selbst benutzte. Und das als dreister Papstkritiker in zuweilen gefährlich schlechtem Englisch.
Allemal zeigt sich nun bei der Hauptbaustelle des Papstes, dem Missbrauch an Schutzbefohlenen durch Geistliche, dass er immer wieder auf falsche Leute sein Vertrauen setzte. Ähnlich wie Benedikt XVI., der aber war bei dieser Frage entschiedener bei den Opfern. Benedikt hat kein Mitleid mit Tätern – der Südamerikaner Franziskus schon.

Was will dieser Papst?
Dieser Papst wird gerne als jemand bezeichnet, der „alles anders macht“. Tatsächlich lebt Franziskus in der Tradition des II. Vatikanischen Konzils und lehnt nur strenger als viele andere Kirchenführer (und auch B XVI) die Verengungen der Kirche – auch durch die „politische Gefangenschaft“ nach der Gründung des Königreichs Italien im 19. Jahrhundert – entschiedener ab. Franziskus hat ein tieferes, länger in die Geschichte reichendes Traditionsverständnis als seine Kritiker
Das zweite Vatikanum steht für den Begriff Aggiornamento (Erneuerung, Bewegung, Kurskorrektur, auf den Tag zuschneiden). Dabei geht es um eine „Erneuerung durch Erinnerung“. Franziskus sieht das Konzil als Rückgriff auf den Ursprung des Christentums, eben auf das Evangelium und auch auf die soziale, uns heute sozialistisch erscheinende Lebenswirklichkeit in einem Teil der Ur-Gemeinde.
Franziskus ist davon überzeugt, dass die Kirche zu keinem Zeitpunkt ihrer Geschichte aufhören darf zu lernen und Neues zuzulassen, wenn es zu dem Anfang, dem Evangelium und der kirchlichen Tradition passt.
Damit vollzieht der Papst, was er im Vorkonklave schon ankündigte und wofür er auch gewählt wurde: „Wenn die Kirche nicht aus sich selbst heraus geht, um das Evangelium zu verkünden, kreist sie um sich selbst. Dann wird sie krank. Die Übel, die sich im Laufe der Zeit in den kirchlichen Institutionen entwickeln, haben ihre Wurzeln in dieser Selbstbezogenheit. Es ist ein Geist des theologischen Nazismus. In der Offenbarung des Johannes sagt Jesus, dass er an der Tür steht und anklopft. In dem Bibeltext geht es offensichtlich darum, dass er von außen klopft um hereinzukommen. Aber ich denke an die vielen Male, wo Jesus bei uns anklopft, damit wir mit ihm zusammen rausgehen. Die konzentrische Kirche aber beansprucht Jesus Christus allein drinnen und lässt ihn nicht raus.“
Die „Erneuerung durch Erinnerung“ ist für Franziskus mit einer größeren Verantwortung für den Menschen verbunden. Sie ist nicht nur Aufgabe der Kirchenführer sondern auch der Gemeinde, als dem Volk Gottes, so wie wir das auch aus der Apostelgeschichte von der Urgmeinde in Jerusalem kennen. Der Papst fordert ein synodales Entscheidungsfinden ein, auch wenn er schließlich als Papst allein entscheidet und verantwortet.

Die Erneuerung der Kirche muss nach Franziskus von der Lebenswirklichkeit der Menschen und den sozialen Entwicklungen in unserer Gesellschaft ausgehen. Im Widerspruch zum deutschen Denken, das bisweilen von der Wirklichkeit verlangt, sich nach den Ideen oder der „Dignität der Theologie“ (Kardinal Meisner) zu richten, ist für Franziskus die Wirklichkeit wichtiger als die Idee. In seinem nachsynodalen Schreiben heißt es: „Die Wirklichkeit steht über der Idee. Das schließt ein, verschiedene Formen der Verschleierung der Wirklichkeit zu vermeiden: die Purismen, die Totalitarismen des Relativen, die in Erklärungen ausgedrückten Nominalismen, die mehr formalen als realen Projekte, die geschichtswidrigen Fundamentalismen, die Ethizismen ohne Güte, die Intellektualismen ohne Weisheit.“ Kurz Papst Franziskus verlangt von seiner Kirche nicht Katholizismus sondern Katholizität: keine Einengung der Kirche auf sich selbst sondern ihre Öffnung für die Welt.

Ökumene
Nun möchte ich zum Kernanliegen des Papstes kommen, das auch viele von einem evangelischen Papst reden lässt, der vermeintlich das Proprium der katholischen Kirche verlasse. Die Ökumene, (wobei am Rande bemerkt werden muss, dass die Papst-Kirche bei der Ökumene mit den Kirchen der Reformation immer ihren Dialog mit den orthodoxen Kirchen im Blick haben muss.)
Zum Komplex Ökumene noch einmal zurück zu jenem Papstbesuch bei uns in der Christuskirche am 15.11.2015. Dort wurde er von einer älteren Dame, die seit Jahrzehnten mit einem italienischen Katholiken verheiratet und längst Großmutter ist, gefragt, warum sie nicht gemeinsam mit ihrem Mann an der Eucharistie teilnehmen könne:
Auf die Frage über das gemeinsame Abendmahl des Herrn zu antworten, ist nicht einfach für mich, vor allem vor einem Theologen wie Kardinal Kasper. (Der saß auch vorne am Altar) Aber ich denke: Der Herr hat uns gesagt, als er diesen Auftrag gab: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“… Wenn wir das Abendmahl des Herrn teilen, erinnern wir daran und ahmen das nach, tun das Gleiche, was Jesus der Herr tat. Das gemeinsame Abendmahl ist nicht das Ende eines Weges sondern die Stärkung auf dem Weg, um gemeinsam voranzuschreiten?.. Haben wir nicht die gleiche Taufe?.. Wenn Sie sich als Sünderin fühlen – auch ich fühle mich sehr als Sünder –, wenn Ihr Mann sich als Sünder fühlt, dann gehen Sie vor den Herrn und bitten um Vergebung; Ihr Gatte tut das Gleiche und geht zum Priester und bittet um die Lossprechung. Es sind Heilmittel, um die Taufe lebendig zu erhalten. Wenn Sie gemeinsam beten, dann wächst diese Taufe, wird sie stärker. Wenn Sie Ihre Kinder lehren, wer Jesus ist, warum Jesus gekommen ist, was Jesus uns getan hat, so tun Sie das Gleiche; mit lutherischer wie auch mit katholischer Sprache, doch ist es das Gleiche. ….Das Leben ist größer als Erklärungen und Deutungen. Nehmt immer auf die Taufe Bezug: „Ein Glaube, eine Taufe, ein Herr“, sagt uns Paulus, und von daher zieht die Schlussfolgerungen. Ich werde nie wagen, Erlaubnis zu geben, dies zu tun, denn es ist nicht meine Kompetenz. Aber eine Taufe, ein Herr, ein Glaube. Sprecht mit dem Herrn und geht voran.“
Dazu überreichte der Papst der Gemeinde einen Abendmahlskelch. Bei der Übergabe zwinkerte er der Fragestellerin zu, um sie noch einmal zu ermuntern. (Meine Frau Christiane konnte das gut sehen; sie saß neben ihr) Seither ist dieser Kelch bei uns in der Gemeinde im Gebrauch. Seither fühlen wir Lutheraner uns vom Papst zur gemeinsamen Eucharistie eingeladen.
Ich halte diese Worte des Papstes für klar und eindeutig; er hat sie nie zurückgenommen, nie relativiert. Drei Ideen erscheinen mir bei ihnen besonders wichtig: Das Leben ist größer als die Theologie.
Die Selbstprüfung des Einzelnen stellt das entscheidende Kriterium dar, das Gewissen und nicht der Gehorsam gegenüber der kirchlichen Lehre.
Die gemeinsame Eucharistie steht nicht am Ende des Weges; sie soll auf dem Weg zur Einheit der Kirche stärken.

Auftrag an Katholiken und Lutheraner in Deutschland

Im Februar 2017 lud Papst Franziskus erstmals gemeinsam den Vorsitzenden des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), den Lutheraner Heinrich Bedford-Strohm, und den Chef der DBK Kardinal Reinhard Marx zur Audienz in den Vatikan und sagte laut Pressemeldung:
Das gemeinsame Reformationsgedenken biete die Gelegenheit, “einen weiteren Schritt vorwärts zu tun”. Der Papst forderte die “Intensivierung des theologischen Dialogs”, um die bestehenden Differenzen in Glaubenslehre und Ethik zu überwinden. “Besonnen müssen wir uns mit inständigem Gebet und all unseren Kräften darum bemühen, die noch bestehenden Hindernisse zu überwinden”, so Franziskus. Besonders in gemischt-konfessionellen Ehen sei der Schmerz über das Trennende zwischen Katholiken und Protestanten groß.
Den ökumenischen Dialog zwischen Protestanten und Katholiken in Deutschland würdigte Franziskus als “segensreichen Weg des geschwisterlichen Miteinanders”. Er forderte beide Seiten auf, mutig und entschlossen auf diesem Weg weiterzugehen. “Wir haben die gleiche Taufe: Wir müssen zusammen gehen, ohne müde zu werden.” Die Audienz dauerte besonders lange 45 Minuten. Sie galt als Auftrag des Papstes an die Christen in Deutschland, an Lutheraner und Katholiken, ihrer besonderen Verantwortung gerecht zu werden: aus dem Lande der Reformation muss auch die Überwindung der Kirchenspaltung kommen.
Mittlerweile feiern Lutheraner und Katholiken zusammen eine Liturgie, die am Reformationstag, dem 31. Okt, 2016 im schwedischen Lund vom Papst und dem WLB-Bischof Munib Younan „eingeweiht“ worden war und am 11. März, 2017 erstmals in Hildesheim gefeiert wurde. In dieser gemeinsamen Liturgie der Buße und Versöhnung fehlt nur noch die Eucharistie; aber es gibt für sie schon einen Platz.

Stagnation in der Ökumene
Leider aber stagniert m E. der Prozess. Trotz des Ansporns 2017 durch die gemeinsame Feier des Christusjahres 500 Jahre nach Martin Luthers 95 Thesen, scheinen die päpstlichen Initiativen bei Katholiken und Lutheranern im Sande zu verlaufen.
Die katholische Bischofskonferenz beschloss in ihrer Frühjahrstagung in Ingolstadt, in Einzelfällen der ökumenischen Not könnten evangelische Ehepartner an der Kommunion teilnehmen. Aber eine erhebliche Minderheit von sieben Bischöfen will diesen Weg nicht mitgehen und wandte sich an den Papst, wohl wissend, dass der Papst genau dies will. Dazu gehört der Erzbischof von Köln, Rainer Maria Woelki; vor allem aber bayerische Bischöfe wandten sich an den Papst und damit gegen ihren Mitbayern Reinhard Marx aus München. Dabei scheint es nach vielen Bekundungen mehr um politische als um theologische Fragen zu gehen, um Macht und Missgunst. In den katholischen Gemeinden nimmt darüber der Zorn auf diese „Motzer“ zu, für die die „Dignität der Theologie“ wichtiger sei als die Gemeinschaft zwischen Priestern und Gemeinde; die Einheit von Pastoral und Theologie. Ich habe diesen Vortrag schon vor Katholiken gehalten; die haben mir hinterher mit viel Applaus gedankt.

Beim Papst (und weniger in der langsameren Kurie) heißt es nun resignierend; aus Deutschland werde wohl kein wichtiger Impuls zu mehr Einheit ausgehen können. Kardinal Walter Kasper, lange Jahre Chef des Ökumenerates in Rom, ist besonders enttäuscht und schrieb neulich einen Aufsatz für die Herder Korrespondenz, in dem es sinngemäß heißt: Noch seien zwar nicht alle theologischen Probleme beseitigt, aber die Teilnahme einzelner evangelischer Christen in konfessionsverbindenden Ehen, die den katholischen Eucharistieglauben teilen, kann ein Schritt in diese Richtung sein. Solche konfessionsverschiedenen Eheleute nähmen „die Einheit der Kirche gewissermaßen vorweg“, sagt Kasper: „Sie sind kein gefährlicher Bazillus, vor dem man sich in Acht nehmen muss; sie sind eine Frischzelle im Leib Christi der Kirche!…Wenn zwei Menschen durch die eine Taufe und durch das gemeinsame Sakrament der Ehe verbunden sind, wenn sie diese Verbundenheit zusammen mit ihren Kindern wirklich leben, wenn sie das katholische Verständnis der Eucharistie teilen und deshalb ein inneres Verlangen (desiderio) haben die Kommunion zu teilen, dann wird sie bei uns kaum ein Seelsorger zurückweisen“, sagte Kasper. Es habe ihn „traurig gemacht, dass es darüber zu keinem Einvernehmen in der Bischofskonferenz kam“.
Immerhin gab die Bischofskonferenz nun eine nicht bindende „Orientierungshilfe“ heraus: „Mit Christus gehen – der Einheit auf die Spur“, heißt sie. Dieser Text wird leider von den Bischöfen Deutschland völlig unterschiedlich angewandt. Oft heißt es dann: das Trennende ist doch das Eigene.
Auch in der evangelischen Kirche gibt es Vorbehalte und Beharrung: Viele Unierte aber auch Lutheraner fürchten, vom Papst vereinnahmt zu werden. Wir haben uns nämlich nach 500 Jahren Trennung behaglich in der Kirchenspaltung eingerichtet. Auch wenn 40 Prozent der Ehen in Deutschland konfessionsübergreifend sind, scheint uns Jesu Gebot zur Einheit wenig zu scheren.
Der Johanniterorden könnte in der traurig gespaltenen Bruderschaft mit den Maltesern bei der Hilfe für die „Herren Kranken“ stärker für ein „Camino insieme“ ein gemeinsames voranschreiten eintreten und den Papst bitten, schon wegen der gemeinsamen Geschichte und Zeugenschaft die gemeinsame Eucharistie vorzugeben. Beispielhaft ist das Gedenken bei der „Stiftung 20. Juli“, wo beim Erinnerungsgottesdienst in Plötzensee Evangelische und Katholische einmal zur kath. Eucharistie und im folgenden Jahr gemeinsam zum ev. Abendmahl gehen. Die Ökumene der Märtyrer kennt keine Konfessionen. Aber erinnern wir nicht bei jedem Abendmahl an das Martyrium Jesu für uns alle?

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Zusammenfassung: Der Kairos des evangelischen Papstes
Ich sehe unsere Kirchen an einer Wegescheide; wir könnten auch von einem Kairos reden, von jenem günstigen Moment, bei dem entschieden werden muss.
Dieser Moment, dieser historische Augenblick, ist außergewöhnlich und hat mehrere Aspekte, die sich glücklich zusammenfügen: Benedikt XVI., der unsere Gemeinde im Übrigen auch schon einen Abendmahlskelch schenken wollte, gab als erster Papst aus dem Land der Reformation viele Anstöße zur Ökumene. Wir erinnern uns dankbar an seine Luther-Rede in Luthers Kloster in Erfurt, wo er die Christuslehre des Reformators als beispielhaft bezeichnete.
Auch wenn Franziskus das Gewissen so stark betont, kann er sich darauf berufen, dass sein Vorgänger eigens nach Birmingham an den Wohnort von Kardinal John Henry Newman kam, um diesen früheren Anglikaner selig zu sprechen. Von Newman stammt die Wendung: “Wenn ich einen Toast auf die Region rausbringen müsste, würde ich auf den Papst trinken. Aber zuerst auf das Gewissen. Dann erst auf den Papst.“ BXVI hat das Leiden der tragischen Kirchenspaltung stets ins Zentrum seiner ökumenischen Bemühungen stellt; und eben auch das individuelle Gewissen.
Papst Franziskus kann da anzusetzen und den dritten Aspekt dieses Kairos nutzen: die Früchte der Luther Dekade und des Christusjahres 2017. Wir haben im Rom jenes Jahres wichtige Konferenzen erlebt, bei denen zum einen der historische Ballast abgebaut wurde: Bei einer Tagung der Päpstlichen Historischen Kommission hieß es zum Beispiel, wichtige theologische Fragen von Martin Luther seien von Rom bis heute eigentlich nicht beantwortet. Die Kirchenspaltung habe mehr politische als religiöse Gründe gehabt. Sie habe sich längst überlebt. Zweitens: Das Johann-Adam-Möhler-Institut unter Prof Wolfgang Thönissen und die Gregoriana unter Professor Felix Körner, SJ, leiteten zusammen ein Symposion zu „Luther und die Sakramente“. Dabei kam es zu ertragreichen Dialogen zwischen Lutheranern und Katholiken über die Sakramentenlehre und das Amtsverständnis. Da saßen Kardinäle und lutherische Pastoren in der ersten Reihe und lernten. Im Ergebnis kam heraus, dass sich eine feste theologisch tragbare Brücke bauen lässt, um Lutheraner und Katholiken gemeinsam am Abendmahl teilnehmen zu lassen. Auch das Amtsverständnis müsse nicht teilen.
Aufwachen!
Ist das nicht ein glücklicher Moment, um die historischen Hindernisse endlich zu überwinden und eine gute theologische Basis für eine feste tragende Brücke zu bauen? Das Dumme an so einem Kairos ist, dass er nicht mit Donnerknall und Blitzen erscheint sondern aus dem Alltag zu kommen scheint und darum verschlafen werden kann, zumal es genügend Amtsträger in beiden Kirchen gibt, die über diesen günstigen Augenblick hinwegdämmern möchten. Die Bürokraten der evangelischen Amtskirche schwelgen in der Erinnerung an das Lutherjahr, so als brauche man nun nichts weiter zu tun. Und die katholischen „Motzer“ sind verliebt in eine um sich kreisende Kirche ohne Gemeinde. Diese Kreise sprechen nicht von Aufbruch durch Franziskus. Die katholischen Stehengebliebenen beklagen vielmehr seine Verunsicherung, – ähnlich wie manche Evangelische, denen die Worte des Papstes nicht klar genug sind. Den Feinden der Ökumene kommt allemal die Debatte um Missbrauch gelegen. Sie lenkt nämlich ab.
So ist es an uns Kirchenvolk, diesen Kairos der Kirchengeschichte zu erkennen und zu nutzen. Wir müssen Papst Franziskus als den nehmen, als den ihn die Kardinäle wählten: Wir setzten nur den Willen des Heiligen Geists um, sagten sie. (Ich werde im Frühjahr ein Buch mit Aufsätzen zu diesem Thema bei Grünewald/Patmos rausbringen, um die Debatte am Leben zu erhalten: „Ein Kelch für zwei“, heißt es.)
Auch wir sollten – wie die Kardinäle – den Heiligen Geist spürbar an uns wirken lassen und dabei auf Jesus bauen. Was sagt uns sein Evangelium? Im zweiten Korinther heißt es: Jesu Botschaft ist eine Botschaft der Freiheit. „Der Herr aber ist der Geist, wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ Jesus gibt uns mithin Freiheit und jene Verantwortung, mit dieser Freiheit gewissenhaft umzugehen, eine Gestaltungskraft, an die der Papst bei uns in der Kirche im November 2015 appellierte. Franziskus baut darauf, dass ein guter Christ die Glaubensfragen auch an sich selber stellt, nicht verunsichert sondern gestärkt durch Glauben, Gebet und Gewissen. Im Alten Testament ist von dem einen Wunsch des Königs Salomon die Rede, den Gott dann auch erfüllt. Er gab ihm ein „weises und verständiges Herz“. Das hat gleich Salomon auch dieser Papst; damit will er uns lenken. Dieses weise und verständige Herz sollte aber auch uns auf den rechten Weg bringen.
Die von Franziskus geforderte „gewissenhafte“ Gestaltungskraft bei der Ökumene hat dabei festen Grund. Sie argumentiert nicht damit, dass die Christen eine verfolgte Minderheit sind, weswegen es ein überflüssiges Luxusproblem sei, über Eucharistie zu streiten. Franziskus will nicht mehr Gemeinsamkeit, um dem Priestermangel aufzuhelfen oder dem Zeitgeist hinterher zu laufen. Nicht aus Laschheit und Beliebigkeit, oder weil man einander so nett findet – sondern aus der Fähigkeit heraus, dass wir nach den gemeinsamen Erfahrungen – auch in diesem Christus-Jahr 2017 – historische Missverständnisse endlich abbauen und theologische Barrieren überwinden können. Da liegen also die Steine zum Bau einer soliden Brücke bereit. Nun müssen wir Brückenbauer werden und dem Pontifex folgen. Franziskus fordert mehr Vertrauen auf Gott, verlangt, nicht allein auf Institutionen zu vertrauen sondern auch auf die Kraft des Glaubens. Wenn wir den Heiligen Geist ernst nehmen und uns von ihm leiten lassen, Mut dazu haben, Gott in uns zu wissen – und ihm folgen, dann ist zB der Aufbruch zur gemeinsamen Eucharistie – eine Kleinigkeit. jöb.