EIN KELCH FÜR ZWEI

Ein neues Buch zur ökumenischen Debatte um die Kommunion bei konfessionsverbindemden Paaren
(Hrg. Jörg Bremer, Matthias Grünewald Verlag – Patmos; Ostfildern, 2019, Euro 24,-)

GEHT VORAN – Bevor die Kirche keine Rolle mehr spielt

Dazu meine Einleitung:
Heute noch empfindet die Katholikin Cecily Benecke „Schmerz und Unverständnis“ darüber, dass sie als kleines Mädchen nicht mit ihrer evangelischen Mutter Hand in Hand zum Altar gehen durfte. Dorthin begleitete sie ihren katholischen Vater zum Empfang der Eucharistie, während Mami in der Kirchenbank sitzen bleiben musste. Diese Erinnerung ist Wunde geblieben. Dabei vollzog Cecily Benecke längst selber das Sakrament der Ehe und heiratete wie die Mutter einst auch über ihre Denomination hinweg einen evangelischen Christen; und ihre Kinder sind evangelisch, wie das in der Familie des Vaters Tradition ist. 40 Prozent der Ehen in Deutschland werden der Statistik nach über evangelisch-katholische Konfessionsgrenzen hinweg geschlossen, mehr als irgendwo sonst auf der Welt.
Die Frage nach dem einen „Kelch für zwei“, nach dem gemeinsamen Abendmahl der Evangelischen und der gemeinsamen Eucharistie der Katholiken, stellt mithin ein vor allem deutsches Thema dar. Es wird im Land der Reformation auch noch ernstgenommen; obwohl auch hier die Verbrechen des Missbrauchs an Schutzbefohlenen im Zentrum der Kirchendebatte stehen. Denn religiöse Eheschließungen bleiben begehrt; und immer wieder kommt es davor zum Streit darüber, welche Denomination in welcher Kirche bei der Hochzeit den Sieg davontragen solle. Dabei sollte es allein um die Einheit des sich gegenseitig das Sakrament spendende Paares in ihrer neuen familiären Hauskirche gehen. Um fürderhin so einen Streit auszuschließen, bietet dies Buch am Schluss eine salomonische „Modell-Trauung“ – ohne ein mit der Eucharistie zweites Sakrament – von Pater Karl Kern SJ und dem evangelischen Theologen Friedrich von Rauch an.
Cecily trug sich Jahre lang mit dem Gedanken, aus der katholischen Kirche auszutreten; schließlich habe doch Jesus Christus als Retter und Heiland nicht enge Konfessionen gewollt, schreibt sie zum Auftakt zu diesem Buch. Cecily blieb dann aber und hadert wie viele zehntausend andere mit ihrer Kirche. Andere katholische Eheleute mit einem evangelischen Partner verließen sie, lässt doch das katholische Kirchenrecht nur beschränkt pastorale Öffnungen zu, wie Pater Markus Graulich, Kirchenrechtler an der Kurie in Rom, nachzeichnet. Lieber Austritt als Übertritt, heißt dann übrigens meist die Devise; erfahren Eheleute die Trennung vor dem Altar doch als Einbruch in ihr Ehesakrament und wollen im Übrigen ihre Glaubensidentität wahren, wollen zum Beispiel katholisch bleiben; katholisch, wie sie es verstehen.
Bei den meisten regiert freilich Indifferenz. Sie gehen ohne Bedenken mit ihrem evangelischen Ehepartner zu dessen Abendmahl und machen sich keinen Kopf, wie es dann heißt. Diesen Katholiken ist es egal, was das Kirchenrecht und einige Bischöfe sagen. Sie tun, wie es ihnen behagt. Gegen diese Indifferenz wendet sich dieses Buch. „Ein Kelch für zwei“ liefert nämlich gute Argumente dafür, dass eine theologisch-kanonische Grundlage für die gemeinsame Eucharistie konfessionsverschiedener Paare möglich ist.
Eine Argumentationslinie stellt die Frage: „Wie hätte sich Jesus die Eucharistie gewünscht?“. Sie sucht der Jesuit Ansgar Wucherpfennig zu beantworten: Es sei ein Missverständnis, entstünde der Eindruck, die Kirchen oder die Geistlichen seien Gastgeber am Altar. „Wenn wir Eucharistie feiern, wie Jesus sie gewollt hat, kann nur er selbst Gastgeber sein“, schreibt der Chef von Frankfurts Jesuiten-Universität. Daran schließt sich die Frage an: Dürfen und können Theologen überhaupt beschließen, wer zum Heil kommt? Hat die Kirche nicht nur die eine Aufgabe, Jesus zu dienen und dafür sein Heil möglichst vielen zu bringen anstatt Ausschlüsse zu fabrizieren?
Tatsächlich puzzeln katholische Theologen, die die Würde ihrer Theologie höher erachten als das Leid von Gemeindegliedern, an der Eucharistie-Frage ohne ein Gefühl der Dringlichkeit. Sie sehen nicht, dass es noch auf Jahre immer wieder neue Wunden und neues Unverständnis geben wird, sollte die katholische Kirche das Jahr 2030 für eine Vereinbarung mit der evangelischen anpeilen, weil sich dann die Confessio Augustana 500 Jahre jährt; jener für die meisten längst vergessene Jahrestag, an dem die lutherischen Reichsstände vor Kaiser Karl V. ihr reformatorisches Bekenntnis erklärten. Verliert Kirche mit diesem Zaudern ohne Not nicht ihre Glaubwürdigkeit und bugsiert sich aus ihrer tragenden Rolle in der Gesellschaft heraus?
Annette Schavan war bis zum Christus-Jahr 2017 deutsche Botschafterin am Heiligen Stuhl. Sie versuchte in Rom hartnäckig, die Debatte voranzubringen und die Ökumene zu fördern. Aber seither geschah nur wenig; und so bekümmert sie die „ernüchternde“ Debatte. Dabei wird schon Jahrzehnte über die unterschiedlichen Auffassungen zum Sakraments- und Amtsverständnis in beiden Kirchen geredet. Könnte es nun nicht endlich mal schneller gehen, fragt auch Hans Leyendecker, der in diesem Jahr 2019 Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages ist? Er fordert die Rebellion der Laien.
Längst schon stellt sich nämlich die Frage, ob nicht in den letzten Jahren der theologischen Annäherungen eine kirchlich tragfähige Brücke gebaut und ein rezeptionsfähiger Grundkonsens erreicht wurde, wie es Kardinal Walter Kasper in seinem Beitrag nahelegt. Genüge nicht wohlmöglich das innere Verlangen des Herzens, den Leib Christi als Brot des ewigen Lebens zu empfangen, um mit der richtigen Einstellung an der Eucharistie teilzunehmen, schreibt Kasper, der ein Jahrzehnt lang an der römischen Kurie Präsident des Ökumene-Rates war und seit seinem Buch zur Barmherzigkeit ein Vertrauter von Papst Franziskus ist.
Tatsächlich haben viele Kirchenfürsten mehr das theologisch Trennende im Blick als von Jesu Willen nach Einheit her zu denken. Der Papst aber stellt Jesu Wunsch ins Zentrum, die heutige Wirklichkeit über die Idee und fordert die Seelsorge einer dienenden Kirche. So verdanken ihm Katholiken und Evangelische eine Öffnung, die manche Amtsträger in beiden Kirchen offenbar nicht wahrnehmen und schon gar nicht beherzigen wollen, die aber dieses Buch ernst nimmt. Damit ist jener jesuitisch klar entwickelte Beitrag vor der deutschen evangelischen Gemeinde in der Christuskirche in Rom im November 2015 gemeint, als Franziskus den Lutheranern nicht nur einen Abendmahlskelch schenkte. Dazu sagte er konfessionsverbindenden Paaren: „Nehmt immer auf die Taufe Bezug: „Ein Glaube, eine Taufe, ein Herr“, erklärt uns Paulus…Sprecht mit dem Herrn und geht voran.“ Jens-Martin Kruse war damals als Gemeindepfarrer der Gastgeber des Papstes. Kruse – den der Papst gerne als „pastore bravo“ bezeichnet – berichtet darum über jenen ökumenischen Aufbruch, bei dem nach Franziskus die interkonfessionelle Gastfreundschaft beim Abendmahl nicht Ziel sondern Stärkung auf dem Weg zu mehr Einheit sein soll.
Empört wenden Papst-Kritiker ein, so eine offene Pastoral breche mit der katholischen Theologie. Diese Gruppe konstruiert dabei einen Widerspruch zwischen Pastoral und Dogma, wiewohl doch in einer lebendigen Kirche beides eine Einheit bilden muss. Zwei Jahre nach der Vesper in der Christuskirche forderte der Papst zum Ende im Christus-Jahr 2017 von den deutschen Kirchenführern, den „ökumenischen Wagen nicht auf den Rastplatz (zu) rollen“ und konnte an mehrere Konferenzen erinnern, die die Nähe zwischen katholischer und lutherischer Kirche belegen. Professor Wolfang Thönissen aus Paderborn berichtet so über die Tagung „Martin Luther und die Sakramente“ an Roms Gregoriana: Danach ist die Einladung an evangelische Christen zur Kommunion in der katholischen Kirche längst „grundsätzlich möglich“. Das findet auch der Bischof von Speyer Karl-Heinz Wiesemann, der hier die 2018 herausgegebene Orientierungshilfe der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) „Mit Christus gehen – Der Einheit auf der Spur“ erklärt. Das Mitglied in der DBK-Ökumene-Kommission dreht die Debatte um: „Jemandem ein Gnadenmittel, ein wirkmächtiges Zeichen der Zuwendung Gottes im Namen der Kirche nicht zu gewähren, obwohl er darum bittet, ist eine schwerwiegende Entscheidung, die einer fundierten Begründung bedarf.“
Jesus Christus stiftete das Abendmahl, damit sich die Gemeinde der Gläubigen auf immer seines Märtyrertodes erinnert. Jesuitenpater Klaus Mertes, früher Rektor der Berliner Gedenkkirche der Katholiken für die Nazi-Opfer, begleitet Gottesdienste zur Erinnerung an diese ermordeten Widerständler im Hinrichtungsschuppen von Plötzensee. Auch diese Opfer waren Märtyrer. Ihre „Ökumene des Blutes“ überschritt konfessionelle Grenzen; und so laden sich seit einigen Jahren Katholiken und Evangelische in Plötzensee am 20. Juli gegenseitig zum Abendmahl ein. Mertes schreibt: „Man könnte einwenden, dass die Extremsituation der Abendmahlsfeier vor der Hinrichtung nicht Vorlage sein sollte für die Frage nach der Praxis einer gewohnheitsmäßig gefeierten wöchentlichen Eucharistie.“ Doch schon Johannes Paul II. habe auf den Zusammenhang zwischen Martyrium und christlichem Alltag hingewiesen. Wer die Eucharistie als Märtyrerfeier ernst nimmt, darf konfessionsverschiedene Paare nicht ausschließen. „Das Drängen auf Gastfreundschaft ist nicht nur besonderen Situationen geschuldet sondern hat gesamtkirchliche, theologische Dignität.“ Schließlich fasst Karl-Hinrich Manzke, der evangelisch-lutherische Bischof von Schaumburg-Lippe, aus der Sicht des Catholica-Beauftragten seiner Kirche den Stand der Diskussion zusammen und sieht „offene Türen“.
Manzke, Mertes und andere schreiben in diesem Buch von einem günstigen Zeitpunkt für Entscheidungen jetzt. Dieser Kairos durch Luther-Dekade und Christus-Jahr dürfe nicht verpuffen. Tatsächlich stehen die Kirchen in Deutschland an einer Wegscheide. Noch werden sie ernstgenommen; noch können sie die Herzen der Menschen zurückgewinnen. Da ist es gut, dass gerade jetzt mit Papst Franziskus die Chance der Öffnung besteht, haben doch die theologischen Arbeiten beider Seiten längst genügend Gemeinsamkeiten erarbeitet, um über Pastoral und Theologie hinaus auch das Kirchenrecht zu öffnen, das nach Graulich das Heil der Seelen und das Gemeinwohl der Kirche im Blick haben soll. Die Zeit von Papst Benedikt XVI. gehört mit zu diesem Kairos, als er in Erfurt Luthers Christuslehre als vorbildlich lobte. Benedikt XVI. rückte auch das freie gläubige Gewissen neu in den Blick, als er eigens nach Birmingham an den Wohnort von Kardinal John Henry Newman reiste, um ihn selig zu sprechen. Von Newman stammt die Wendung: “Wenn ich einen Toast auf die Religion rausbringen müsste, würde ich auf den Papst trinken. Aber zuerst auf das Gewissen. Dann erst auf den Papst.“
Da setzt Papst Franziskus an. Seine Kirche kann die Früchte der Luther-Dekade nutzen. Im Vatikan musste man sich bis jüngst eingestehen, dass die Kirche vor 500 Jahren die drängenden Fragen des frommen Katholiken Luther aus der Provinz nie beantworten wollte, und dass dann die Kirchenspaltung vor allem politische Gründe hatte. Heute lesen auch Beichtväter von Sankt Peter Luthers Katechismus und stellen fest, dass Lutheraner denselben Glauben an die Eucharistie haben wie Katholiken, wenn sie ihren Glauben ernst nehmen, und dass sie keineswegs vom Weihesakrament abließen. Dass es nach wie vor Kontroversen gibt, soll nicht verschwiegen werden. Nicht nur zwischen den Konfessionen, sondern auch innerhalb der katholischen Kirche. Ich bedanke mich deshalb ausdrücklich bei Pater Markus Graulich für seinen Beitrag zu diesem Buch, den er als bekennender Kritiker der gemeinsamen Kommunion beigesteuert hat. Sein Beitrag fasst die Bedenken und Einwände zusammen, mit denen man sich auseinandersetzen und auf die man antworten muss. Ferner benennt er jene Punkte im Kirchenrecht, die geprüft und möglicherweise modifiziert werden müssen.
Die Antworten freilich sind in diesem Band gegeben. Sie zeigen: Evangelische und Katholiken haben voneinander gelernt und sehen in Ökumene den „gemeinsamen Weg“, bei dem ihrerseits Evangelische verstärkt über Buße und Beichte nachdenken. So besteht jetzt die vielleicht letzte Chance, mit gewissenhafter Gestaltungskraft zur ökumenischen Gastfreundschaft zu kommen. Aber eben nicht aus Laschheit oder Beliebigkeit, sondern weil, wie dieses Buch zeigt, die Steine für den Bau der Brücke bereit liegen. Dafür fordert Papst Franziskus mehr Vertrauen auf Gott und verlangt, nicht nur auf Institutionen zu setzen. Auch das Volk der Kirche müsse Kraft seines Glaubens mittun. So sollten sich nun Katholiken und Evangelische, Theologen wie Laien, als Brückenbauer – trotz bleibender Verschiedenheiten – tatkräftig für mehr Einheit unterstützen und endlich Jesus Christus gehorchen.