Rom ist verantwortlich – Nach dem Sturz der Morandi-Brücke

(Lesezeit 5 Minuten) Es passt zu dem Klischee von Italien, das bei Unglücken gerne der Mafia mit ihrer Korruption und ihrer Vetternwirtschaft die Verantwortung zugeschoben wird. So sei der Absturz der Morandi-Brücke in Genua geradezu absehbar gewesen, heißt es. Tatsächlich trägt der Staat, trägt Rom die Verantwortung.
Mindestens 35 Menschen verloren am Montagmittag in der norditalienischen Hafenstadt ihr Leben, als die gerade wieder einmal in Reparatur befindliche Brücke aus gut 40 Meter Höhe auf einer Länge von 100 Metern in den Abgrund stürzte. Dort zerbarst sie zum Glück mehr auf Schienen und in einem Flüsschen als auf bewohnten Gebiet. Dennoch handelt es sich um eine der schlimmsten Brückenkatastrophen in Italiens Geschichte; und immerhin stürzten innerhalb der letzten fünf Jahre zehn Brücken ein.
Wer die nach ihrem Erbauer Riccardo Morandi genannte und 1970 eingeweihte Brücke überfuhr, hatte immer schon das spektakuläre Gefühl, ein Stuntman zu sein: Hoch, schmal und auf staksigen Beinen stand sie da; und sie schien auch noch dazu zu wackeln. Morandi, der für seine Spannbetonbrücken weltweit gerühmt wurde und über seine Erfahrungen an den Universitäten von Florenz und Rom lehrte, starb 1989. Schon damals gab es Zweifel an der Tragfähigkeit solcher spektakulären Brücken. Wenn man zudem in Rechnung stellt, dass die Brücke in Genua seit ihrem Bau immer älter wurde, aber zugleich immer stärker benutzt wurde, weil die Stadt wie ihr Hafen wuchsen und der Tourismus an der „Blumenküste“ zunahm, dann könnte man tatsächlich mit diesem Unglück gerechnet haben. Und das taten die Experten auch: Gerade die Morandi-Brücke wurde besonders stark überwacht und stets von Fachleuten verschiedener Profession kontrolliert. Die wussten über die Alterung der Baumaterialien, und so wurde auch ständig renoviert. Gerade jetzt stand wieder ein Baukran auf der Brücke und mag mit zu der schweren Last beigetragen haben, die das staksige Konstrukt in die Knie zwang.
In den sozialen Netzwerken werden nun wieder die gängigen Vorwürfe erhoben. Grundsätzlich spare der italienische Staat an seinen Infrastrukturmaßnahmen. Es habe auch in Genua zu wenige Kontrollen gegeben. Auch werde das Fehlverhalten von Verantwortlichen nicht ausreichend geahndet. Die Sanktionen seien zu mild, die Verantwortlichkeiten unklar. Die Morandi- Brücke sei nur ein Beispiel, wie Italien mit seinem Erbe umgehen. In der Regel müsse erst ein Unglück geschehen, bevor überhaupt gehandelt werde, heißt es da.
Aus der italienischen Regierungskoalition von Populisten der nationalistischen Lega und der „Fünf Sterne“ kommen sogar Rücktrittsforderungen. Damit kann man die Verantwortung nach Genua verschieben; dabei sollten es gerade die „Fünf Sterne“ anders halten und nun umdenken; denn gerade diese Bewegung steht dafür, bei der Infrastruktur möglichst viel Geld sparen zu wollen. So will sie zum Beispiel auch auf die Hochgeschwindigkeitstrasse zwischen Turin und Lyon verzichten. In rückwärtsgekehrte Romantik haben viele „Sterne“ noch nicht die Notwendigkeit zeitgemäßer Personen- und Handelsverbindungen begriffen. Das ist eigentlich nicht verständlich; denn die „Sterne“ sind eine Basisbewegung. Ihre Wurzeln hat diese in den Gemeinden. So sind Lokalpolitiker der „Sterne“ in Genua auch anderer Meinung als die Regierungs-„Sterne“ im fernen Rom. Seit langem schon gibt es in Genua Kritik an dem Brückenmonster über den Köpfen und – freilich keineswegs ausgereifte – Ideen, wie sich der täglich ansteigende Verkehr von etwa 30 000 Fahrzeugen an einem Wochentag an der Küste entlang über der Stadt und über die Berge hinweg durchschleusen ließe. Die Geographie schafft Probleme.
Rom müsste darum allemal hier zu großen Investitionen bereit sein und zugleich auf die versprochenen Vergünstigungen einer „flat tax“ oder eines Grundeinkommens für alle armen Bürger verzichten. Und da liegt offensichtlich der Kern des Problems über alle Jahre: In Italien wird stets an Geschenke für die Bürger gedacht, (mit der Ausnahme der jüngsten Reformphase von Monti bis Gentiloni) und niemals an tiefgreifende Investitionen, die dann auch noch hart kalkuliert und transparent umgesetzt werden. Rom hat bei solchen Projekten nationalen Rangs, ähnlich wie bei den größeren Erdbeben auf Sizilien oder in den Abruzzen, stets versagt. Rom war stets zu schwach, um eine effektive Infrastrukturpolitik durchzusetzen.
Unvergessen ist der Zusammenbruch einer Brücke auf der zentralen Achse von Nord nach Süd auf der Insel Sizilien. Noch immer schlängelt sich der Verkehr irgendwie durch das Tal. Auch das ist von Geldmangel, Mafia und Korruption die Rede. Tatsächlich aber sind es Strukturprobleme zwischen den Kommunen, Regionen und dem Staat, die fast jedes Projekt irgendwo in der Mitte hängen lassen, wenn überhaupt damit begonnen wird.
Die jetzige Regierung der Populisten macht mit ihrer Reaktion auf den Zusammensturz der Morandi-Brücke deutlich, dass sie noch nichts begriffen hat. Wenn eine Regierung zwischen Allgemeinwohl und Bürgerwohl zu entscheiden hat, dann denken Populisten zunächst einmal an Geschenke für Bürger. In Italien kommt freilich ein weiteres Problem hinzu. Das hängt mit der Mentalität einer Nation zusammen, die noch nie gute Erfahrungen mit einer Zentralregierung machte und eh nicht auf den Staat vertraut. Und schließlich gibt es auch so etwas wie das italienische Gefühl: Es wird schon gut gehen. Leider tut es das nicht. jöb.