(Lesezeit 4 Minuten) Ganz offensichtlich ist „Papst Emeritus“ Benedikt XVI mit dem Ernst der Lage in seiner Kirche nicht vertraut. Anstatt seine Bedenken gegen jegliche Lockerung des Zölibats und bei anderen Fragen, wie der der Rolle der Frau in der Kirche, mit Franziskus allein unter vier Augen zu bereden, hat er sich mit Kardinal Robert Sarah gemein getan und bringt ein Gesprächsbüchlein mit jenem Mann heraus. „Des profondeurs de nos coeurs“ (Aus der Tiefe unserer Herzen) erscheint jetzt beim Verlag Fayard. Sarah stand von Anfang an und gegen die meisten seiner afrikanischen Kardinalskollegen, in Opposition zu Franziskus. Nun zieht der Emeritus gleich und positioniert sich auch öffentlich gegen den Nachfolger. Schlimmer noch: Er bricht sein Schweige-Gelöbnis gegenüber Franziskus ein weiteres Mal und trägt die Strömung einer Spaltung in der katholischen Kirche bis zur allerhöchsten Spitze. Früher hätte das Verdikt rasch geheißen: Benedikt vergeht sich gegen den Papst; er ist darum ein Häretiker.
Franziskus ist ein geduldiger und zielstrebig denkenden Jesuit; und er wird sich – dem Vernehmen nach – durch diese Gegner nicht von seiner prophetischen Aufgabe abbringen lassen. Beliebt beim Kirchenvolk und längst von der Mehrheit im Kardinalskollegium getragen, kann er seinen Kurs gehen und bei dem angekündigten nachsynodalen Schreiben auch die Lockerungen bei der Eucharistievergabe umsetzen, die die Amazonas-Synode beschloss. Aber Papst Franziskus will keine Kirchenspaltung, und darum muss er vorsichtig und langmütig operieren. Ein General darf seine Truppen nicht aus dem Blick verlieren; Franziskus muss sie weitmöglichst mitnehmen, auch wenn es sich bei den Schismatikern um eine „kleine Elite“ der Privilegierten handle, wie er einmal andeutete; mit der anschließenden Bitte an die Mehrheit: „Betet für mich!“
Sarah vertritt eine in der Tat kleine aber nicht zuletzt in den Medien, die Konflikte interessanter finden als Konsens, stark reflektierte Opposition, an deren Spitze es viele gibt, die Benedikt XVI bis heute übelnehmen, dass er sein Amt aufgab. Manche sehen ihn noch immer als ihren „eigentlichen“ Papst. Auch das macht das gemeinsame Buch von Emeritus und Sarah so gefährlich. Benedikt selber schürt nun diese Idee, er sei „eigentlich“ immer noch das Oberhaupt der römischen Kirche.
Benedikt stützt mit dem Buch zudem einen Franziskus-Gegner, der den offenen Konflikt mit Franziskus nicht scheut. Der Kardinal, der 1945 in Guinea geboren wurde, brachte den gemeinhin geduldigen Franziskus 2014 so gegen sich auf, dass er den Nachfolger des Deutschen Paul Josef Cordes als Präsidenten des Päpstlichen Rates „Cor Unum“ absetzte und zum Kardinalpräfekten der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung machte. Das mag zwar würdig klingen; tatsächlich aber liegt die Sozialarbeit der katholischen Kirche dem Papst näher als Liturgie. Franziskus hatte also den afrikanischen Kardinal abgeschoben. Das ließ der nicht auf sich sitzen, sondern provozierte 2017 eine öffentliche Zurechtweisung von Franziskus, als er einen liturgischen Erlass des Papstes in seiner Bedeutung klein zu schreiben suchte.
Sarah, der Mann mit den filigranen Händen und der Begabung zum herzlichen Gastgeber, sprachgewandt und europäisch gebildet, spielt im Vatikan eine Sonderrolle. Er wurde schon 1979 mit nur 34 Jahren von Papst Johannes Paul II. zum Erzbischof von Conakry ernannt und galt so als Superstar der Kirche. Franziskus aber verbannte ihn an den Rand. Wie um sich in seiner Bedeutung zu erhöhen, unterhält er, obwohl selber Kurienkardinal, so etwas wie einen Hof gegen den Kurienchef, den Papst. Aus den Themen seines Amtsgebietes, der Liturgie und Sakramentenlehre, bastelt er an einer Art Gegenlehre zur Armutstheologie von Franziskus. Afrikanische Geistliche werfen ihm vor, er feiere mit schöner Liturgie und den traditionellen Gewändern seine homosexuelle Neigung. Diese Stimmen sagen auch, dass die afrikanischen Kirchen gewiss unterschiedlich seien, Sarah aber mit seinem Denken koloniale Züge wachhalte, die eigentlich überwunden werden müssten.
Benedikt, eine Generation älter, ist auch ein Vertreter der alten Gewänder; aber man hatte immer den Eindruck, er trage sie nicht aus Begeisterung sondern als Schutzpanzer, auf das er mehr als Amtsvertreter erscheine denn als deutscher Theologe, der sich um die Versöhnung von Vernunft und Glaube bemüht. Als er sich dem Papst-Amt nicht mehr gewachsen sah, körperlich und geistig zu schwach, wie er dem Autor erzählte, legte er diese schönen Panzer ab. Er trat zurück und wollte im Stillen seiner Kirche im Gebet dienen. Tatsächlich aber kommen immer wieder Verlautbarungen von ihm, mit denen er sein Versprechen bricht. Sein treuer Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein ist dabei Brücke zur Welt. Bisweilen drängt sich der Eindruck auf, Gänswein verfüge über „seinen“ Emeritus. Gänswein ist in seiner Kritik gegenüber Franziskus zwar milder geworden; er aber war stets der lautstärkste, wenn es um das Bedauern darum ging, dass Benedikt überhaupt zurückgetreten war.
Mittlerweile ist Benedikt leider gebrechlich geworden; täglich geht es aber dennoch erst im Wagen und dann mit Rollator höher in den vatikanischen Gärten zu einem kleinen Gang und Gebet, wobei Gänswein der Begleiter ist. Im Bayerischen Rundfunk konnte man jüngst Benedikts Stimme einmal wieder hören. Freilich kaum vernehmlich flüsterte er: „Früher hatt’ ich ein großes Mundwerk; jetzt funktioniert es nimmer.“ Im Übrigen, so Benedikt, sei er „ein alter Mann am Ende meines Lebens“, der sich sehr nach der bayerischen Heimat sehne. Kann es da wirklich noch zu ertragreichen Gesprächen mit Sarah gekommen sei? Schon vor Jahren sagte Benedikt dem Autor, er schreibe sich wohl einige Gedanken auf, aber zu größeren Dingen komme es nicht mehr. Jetzt legt er immerhin ein gut 170 Seiten langes Büchlein vor, und wieder stellt sich die Frage: Ist womöglich Gänswein der eigentliche Mitautor von Sarah? Aber warum gab Benedikt dann seinen Namen und zwar den des Papstes und nicht den Josef Ratzinger?
Von Franziskus ist bekannt, dass er grundsätzlich am Zölibat für Priester nicht rütteln will. Auf der Amazonassynode ging es vielmehr darum, ob man nicht auch Diakonen oder womöglich anderen, speziell ausgewählten Männern erlauben sollte, in Regionen Sakramente zu spenden, in denen der „Sakramentenhunger“ unersättlich ist, weil über tausende von Quadratkilometern Priester fehlen. Dort werden bereits Kapellen ohne Altäre gebaut, weil man gar nicht mehr mit einem Abendmahl rechnet, hieß es auf der Synode. Mithin könnte man sagen, dass Büchlein Benedikt-Sarah geht am Thema vorbei; doch es ist gewiss kein Zufall, dass es gerade jetzt erscheint, wo Katholiken auf das nach-synodale Schreiben von Franziskus warten.
Laut FAZ steht in dem Buch, die Priester würden durch die fortgesetzte Infragestellung des Zölibats „verunsichert“. Benedikt und Sarah beklagten, dass in der öffentlichen Debatte „abwegige Einlassungen, Theatralik, diabolische Lügen und im Modetrend liegende Irrtümer“ überwögen, die „den priesterlichen Zölibat entwerten“. In einem ausdrücklich Benedikt zugeschriebenen Abschnitt heißt es, die Ehe verlange von einem Mann, dass er sich ganz seiner Familie widme. Mindestens ebenso sehr verlange das Priesteramt die totale Hingabe des ganzen Mannes, auch den „Verzicht auf materielle Güter“, so dass es nicht möglich erscheine, „beiden Berufungen gleichzeitig nachzugehen“. Benedikt schreibt weiter: „Ich glaube, dass der Zölibat eine große Bedeutung hat, da er den Verzicht auf einen möglichen irdischen Besitz und ein Leben im Kreis der Familie bedeutet.“ Die Grundthese des Buches laut FAZ heißt mithin: Das Priestertum sei ohne Zölibat nicht denkbar, das geweihte Amt dürfe nicht durch eine Art Zweiklassensystem von Priestern entwertet werden.
Mit solchen Äußerungen fällt Benedikt seinem Nachfolger vor aller Augen und Ohren in den Rücken und legt die Saat zur Selbstzerstörung des Papstamts, wie Daniel Deckers in der FAZ feststellt. Es tritt damit in der Tat genau das ein, was Benedikt eigentlich verhindern wollte. Hätte Benedikt XVI. bei seinem Rücktritt nicht nur das Papstkreuz von seinem Hals abgegeben und seinen Ring einschmelzen lassen, sondern auch seinen weißen Habit ausgezogen, um sich als Bischof unter anderen im Vatikan zurückzuziehen, dann sähe die Sache schon etwas weniger gefährlich aus. Nun aber geht in der Tat die Saat der Selbstzerstörung des Papstamtes auf, die in dem Beharren auf dem Titel „Papa emeritus“ angelegt war.