(Lesezeit 7 Minuten) Enttäuscht hat der italienische Präsident Sergio Mattarella nach zwei Monaten der Geduld die Regierungsbildung für gescheitert erklärt. Er habe keine andere Wahl, sagte der 76 Jahre alte Staatsrechtler am Montagabend im Quirinal von Rom. Nun müsse eine „neutrale Regierung“ von Technokraten das Land über die Verabschiedung des Haushalts für 2019 zu Neuwahlen führen, habe doch jede Möglichkeit gefehlt, eine „Mehrheit für eine politische Vereinbarung zu bilden“. Ausdrücklich beklagte der Präsident, dass sich alle Parteien trotz mehrerer Versuche seit den Wahlen am 4. März als „nicht verfügbar“ für Kompromisse erwiesen hätten. Zuvor hatte Mattarella am Montag ein drittes Mal versucht und alle Fraktionen zu sich gerufen. Doch die Gespräche waren kurz. Von vornherein war nämlich klar, dass persönliche Eitelkeiten und der Mangel an einem gemeinsamen Projekt – zum Beispiel zur Überwindung des Reformstaus oder für EU-Reformen – für Italien eine Regierungsbildung unmöglich erscheinen lassen. Wohlmöglich aber scheitert jetzt auch Mattarella.
Seit zwei Monaten müssen die italienischen Zeitungsleser miterleben, wie sich die politischen Pfauen spreizen. Mit 32 Prozent als Sieger in einem Block war die populistische „Bewegung fünf Sterne“ aus dem Rennen gegangen. Doch brachte es die Bewegung nicht auf die 40 Prozent der Stimmen, die ihr nach dem Wahlrecht die Mehrheit gebracht hätte. Ihr Anführer, der stets mit Anzug und Krawatte gewandete Jura-Student ohne Abschluss Luigi Di Maio will unbedingt an die Macht. Deswegen konnte er sich auch kein Konzept billigen, dass sich womöglich mit seinem Verzicht verbunden hätte: eine Koalition mit der Rechten Mitte oder mit den Sozialdemokraten vom „Partito Democratico“ (PD). Di Maio will Regierungschef werden. “Ab heute”, sagte er nach dem jüngsten Treffen mit Mattarella, “sind wir wieder im Wahlkampf.” Die „Sterne“ lehnen eine „neutrale Regierung“ ab und wollen so schnell wie möglich, wohl im Juli, Neuwahlen.
Das sieht auch Matteo Salvini von der rechtspopulistischen „Lega“ so. Dieser Studienabbrecher im T-Shirt ist der stärkere Partner im Bündnis mit der „Forza Italia“ von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, die im Bündnis mit noch einem kleineren dritten Partner sogar 37 Prozent der Stimmen erhielten – aber eben auch nicht genug. Berlusconi hatte geglaubt, er würde als stärkerer Partner aus dem Rennen gehen. Nach dem das Gegenteil eintraf und er nur noch Juniorpartner unter dem pöbelnden Salvini ist, belastete allein dies schon jeden Versuch, mit diesem Lager ein Bündnis zu schließen. Die „Sterne“ wollten nur mit Salvini gehen; Berlusconi bestenfalls mit dem PD aber auf keinen Fall mit den „Sternen“. Wird Salvinis Lega nun einer „neutralen Regierung“ des Präsidenten die Zustimmung versagen?
Das Wahlrecht, durch das jetzt die Regierungsbildung so schwer wird, war von den alten Parteien danach ausgerichtet worden, einen Sieg der „Sterne“ zu verhindern. Berlusconi hatte ausdrücklich darauf gesetzt, mit dem PD ein Bündnis einzugehen. Mutmaßlich wäre Ex-PD-Ministerpräsident Matteo Renzi dafür auch zu gewinnen gewesen; denn es hätte Renzi wieder an die Macht gebracht, weil Berlusconi als verurteilter Steuerhinterzieher (noch) kein Mandat übernehmen kann. Aber Renzis PD war von noch fast 40 Prozent bei den Europawahlen 2014 auf nur noch 19 Prozent abgestürzt. Unverzüglich danach reichte Renzi seinen Rücktritt ein. Aber bis jetzt kann er seine Partei auf Opposition festlegen. Avancen der „Sterne“ wies Renzi zurück; zu lange sein PD von der Bewegung als „korrupte“ Partei und „Helfer der Banken“ verurteilt worden. Er sei stolz, ein mögliches Bündnis mit den „Sternen“ verhindert zu haben, war von Renzi am Sonntag zu hören. Allein der PD kündigte noch am Montag an, den Staatspräsidenten bei der Bildung einer „neutralen Regierung“ zu unterstützen.
Italien ist mithin in einer schweren Systemkrise. Die „Sterne“ könnten mit der „Lega“, zwar unfähig eine Mehrheitsregierung zu bilden, nun mit Mehrheit Mattarella ein Bein stellen. Beide Parteien wollen Neuwahlen schnell; dabei würde dasselbe Wahlrecht gelten und mutmaßlich dasselbe Ergebnis der Unregierbarkeit zum Wahlergebnis werden. Dagegen möchte Mattarella nun am Ende seiner Geduld mit einem Coup das Vertrauen der Nation für sich gewinnen und die unfähigen Parteien bloßstellen. Er werde erstmals in Italien eine Frau zur Ministerpräsidentin küren, hieß es am Dienstag. Dabei wird an erster Stelle Lucrezia Reichlin genannt. Diese 64 Jahre alte Ökonomin war lange Zeit bei der Europäischen Zentralbank in Frankfurt und lehrt seit 2008 an der London School of Economics. Ihre Eltern waren beide Kommunisten, was aber nur noch Berlusconi stören dürfte. In der „Repubblica“ hieß es: Diese „Frau könnte die Karten neu mischen und womöglich die Bevölkerung für sich gewinnen.“ Auch Marta Cartabia, eine Verfassungsrichterin, und die Diplomatin Elisabetta Belloni werden als Kandidatinnen des Präsidenten genannt. Schon an diesem Mittwoch will Mattarella sein Team aus zwölf Ministern vorstellen. Aber eine Mehrheit für sie in beiden Kammern ist ungewiss. jöb.