(Lesezeit 4 Minuten) Es ist schon traurig, dass beim Kapitel „katholische Kirche und der Vatikan“ nur noch vom Missbrauch geredet wird. Fast seine gesamte Reise nach Irland widmete Papst Franziskus der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle auf der grünen Insel. Er versuchte, die tiefen Wunden zu lindern, die Irland innerhalb weniger Jahre vollends verwandelt haben: Einst wurde das Nationalgefühl vom katholischen Glauben geprägt; heute erscheint Irland ohne Hirten. Mutmaßlich ist Franziskus, auch wenn er einen „lebendigen Glauben“ gefunden haben will, mit Trauer und Scham darüber nach Rom zurückgekehrt, dass ein einziger Missbrauchsfall ein ganzes Leben zerstören kann und dass so viele tausend geradezu geplante und als normal hingenommene Demütigungen an jungen Männern und Frauen wie in Irland eine viele hundert Jahre dauernde Missionsgeschichte zerstören.
Und dann erreichte den Papst kurz vor dem Abflug auch noch das elf Seiten lange Schreiben des früheren Nuntius in der USA, Carlo Maria Vigano, das den Papst zum Rücktritt auffordert, weil er von dem Weg seines Vorgängers Benedikt XVI abgewichen und statt einer „Null Toleranz“-Politik immer wieder Vergebung betrieben oder einfach weggeschaut habe. Erzbischof Vigano ist ein Kanoniker, der sich vor allem als Generalsekretär des „Governatorats“ der Vatikanstadt einen Namen machte, wurde er doch als Kritiker der Verschwendung und der dunklen Kassen in der Staatsverwaltung der Vatikanstadt bekannt. Schon damals brachten ihn freilich Briefe an Papst Benedikt XVI. ins Gerede, die der Ministerpräsident der Vatikanstadt selber oder über Mittelsmänner an die Öffentlichkeit lancierte. In ihnen legte Vigano seinen Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft auf, gab zum Beispiel die ungeheuer hohen Kosten preis, die der Vatikan jenen zuschob, die zu jedem Weihnachtsfest für den Aufbau der Krippe auf dem Petersplatz sorgten.
Mutmaßlich war durch diese Lancierungen das Vertrauen in ihn so zerstört, dass Benedikt XVI., der ihn erst im Juli 2009 in die Regierung der Vatikanstadt berufen hatte, schon im Oktober 2011 wieder abberief, um ihn zum apostolischen Nuntius in den USA zu machen. Damals stand in den Zeitungen, er fühle sich zu Unrecht abgeschoben. Für diesen Mann war Washington offenbar nicht gut genug. Nun macht der mittlerweile emeritierte Erzbischof wieder per Brief auf sich aufmerksam. Schon bei oberflächlichem Lesen fällt auf, dass in ihm viele der Vorwürfe in Bezug auf die beschuldigten Kardinäle wie Donald Wuerl, Reinhard Burke oder Erzbischof Blase Cupich so nicht stimmen können. Sie passen mit den Biografien der genannten Personen nicht überein. Gleichwohl ließ Vigano wissen, dass er den Brief geschrieben habe. Nach der gleich aufbrechenden Kritik am Inhalt aber fügte er hinzu, er wolle den Brief nicht kommentieren: „Schweigen und Gebet ist das einzige, was sich jetzt geziemt“, wurde er von der „Washington Post“ zitiert.
Auch Papst Franziskus wollte den Brief des Erzbischofs auf der fliegenden Pressekonferenz beim Rückflug nach Rom nicht weiter kommentieren. Gelassen stellte er fest, die Reporter sollten ihn selber lesen. Er vertraue darauf, dass ein kritischer Verstand den Inhalt einzuordnen wisse; vielleicht werde er mit zeitlichem Abstand etwas sagen, sagte der Papst. Schon rätselhaft.
Was will der emeritierte Erzbischof? Auffällig ist, dass der Brief zunächst auf einer konservativen katholischen Internetplattform erschien, die Papst Franziskus mit Hass begleitet. Es ist auch bekannt, dass Vigano selber zu den schärfsten Kritikern von Franziskus gehört. Aber ein Mann von Benedikt ist er auch nicht. In der ersten Vatileaks-Affäre um Benedikts Butler spielte Vigano schon eine dunkle Rolle. Damals war vom Hass auf Homosexuelle die Rede; jetzt heißt es, die Öffnung von Franziskus für eine gemeinsame Eucharistie konfessionsverbundener Paare stoße bei Vigano auf Ablehnung.
Vigano gehört zu jenen italienischen Bischöfen, die die Herrschaft von Ausländern an dem – in ihren Augen – “italienischen Fürstenhof der Päpste” bedauern. Erst ein Pole, dann ein Deutscher und nun ein Argentinier? Das schmerzt den Norditaliener aus Varese, der dem Vernehmen nach über beste Beziehungen zu all jenen verfügt, die heute noch einigen Einfluss haben, – wie der frühere Kardinalstaatssekretär Angelo Sodano, der 1992 mit zu den Konsekratoren bei Viganos Bischofsweihe gehörte. „Ausländer raus“, ist ihre Devise. Alles im allen scheint es Vigano also weniger um die Aufarbeitung der Verbrechen an jungen Männern und Frauen zu gehen. Dabei ist der Missbrauch wirklich das letzte Thema, dessen Missbrauch sich diese Kirche noch leisten kann. jöb.