(Lesezeit 5 Minuten/Bedenkzeit…)Es mag ja ein wenig schrill klingen, aber ich frage mich nun einmal und möchte die Antwort ganz kurz fassen: Wie konnte sich das Christentum – dieser galiläische Christusglaube – so schnell in Hellenismus und Römischen Reich ausdehnen, so dass er nach etwa 300 Jahren, als Kaiser Konstantin regierte, fast schon Weltreligion war
Offenbar nutzte das frühe Christentum, das doch seine Wurzeln in der aramäisch sprechenden Provinz Galiläas und Judäas hatte, alles andere als provinziell und erfolgreich die Errungenschaften der großen Welt für seine Ausbreitung. Die Mission vor allem in den Städten Kleinasiens wurde dadurch erleichtert, dass Apostel wie Paulus im zeitgenössischen hellenistischen Denken und in der Philosophie der Griechen zuhause waren. Sie nutzten so auch die allgemeine Bekanntheit der heidnischen Kulte, um diese neue Religion verständlicher zu machen. Die Unsterblichkeit oder Wiederauferstehung gab es im Adonis-Kult in Syrien. Die Taufe stammte als Mikwe nicht nur aus der Ursprungsreligion, dem Judentum, sondern war auch vom griechischen Demeter-Kult bekannt. In Ägypten konnte die Mission das Bild der Göttin Isis mit dem Horus-Kind für Maria und Jesus nutzen. Vom Gerichtsverfahren des Totengottes Osiris aus konnte das Jüngste Gericht verständlich gemacht werden. Und wohl wissend, dass man nicht mit Aramäisch die Welt erobern kann, nutzte das Christentum die Griechische, woran Begriffe wie Ökumene, Eucharistie und die Basilika erinnern. Damit hatten die Provinzsprache vom See Genezareth ausgedient; als ziemlich ungebildet fielen übrigens die ersten Bischöfe in Rom mit ihrem Küchenlatein auf und mussten sich auch in Griechisch üben. Denn die griechische Philosophie des Ostens war das sprachliche Korsett der neuen Religion.
Gleichwohl verdankte das Christentum seine rasche Ausdehnung gleichermaßen auch dem römischen Westen mit seiner pragmatisch effizienten Zivilisation in einem Reich ohne Grenzen, über die sich die Mission nicht hinausbewegte, mit befestigten Straßen und einer pünktlichen Post. Paulus wirkte in seinen etwa zehn Missionsjahren „von Jerusalem aus“ nicht zuletzt längs der Via Egnatia, der Fortsetzung der Via Appia auf Italiens Stiefel zwischen dem albanischen Hafen Durres (Dyrrhachium) und Istanbul/Konstantinopel. An dieser – Mitte des 2. Jahrhunderts vor Christus vom Prokonsul von Makedonien, Gnaeus Egnatius, fertig gestellten – Militär- und Handelsachse lagen Städte wie Philippi, Edessa und Thessaloniki, in denen Paulus Gemeinden gründete, an die er dann seine Briefe richtete, die zum ältesten Teil im Evangelium wurden. Später wussten die Christen das Weltreich ohne Staatsgrenzen und die Straßenachsen römischer Effizienz zu schätzen; sahen es im Rückblick geradezu als Heilsauftrag des römischen Staats, dem Christentum gedient zu haben. So hielt (Papst) Leo I, von 440 bis 461 Bischof von Rom, fest: „Damit die Wirkung der unaussprechlichen Gnade über die ganze Welt verbreitet werde, schuf die göttliche Vorsehung das Römische Reich; dem göttlichen Weltenplan war‘s gemäß, dass so viele Reiche in einem Imperium verbunden würden und die allgemeine Predigt schnellen Zugang zu den Völkern habe, weil die Herrschaft einer einzigen Stadt alle unter sich hielt.“
Die galiläische Hefe geht auf
Christliche Bezüge zu östlichen Kulten und die Effizienz westlicher Zivilisation alleine können freilich nicht den raschen Aufstieg des Christentums erklären. Es wäre wohl auch falsch, einen Verfall bei der Jahrhunderte alten Routine dieser Kulte mit ihren exklusiv privilegierten Priestern und überaus reichen Tempeln für die Erfolge der Christen verantwortlich zu machen. Eigentlich hätte das Christentum sogar auf Ablehnung stoßen müssen, radikalisierte es doch die bisher von gleichmütiger Toleranz geprägte Lebensvorstellung und verlangte von jedem Gläubigen, allein diese – etwas rätselhafte – Dreieinigkeit anzubeten und das diesseitige Leben nach den Regeln dieses einen Gottes auszurichten. Tatsächlich mag aber genau das die Attraktion gewesen sein: Dieser dreieinige Gott stillte nämlich die Sehnsucht jener, die bisher unverbindlich zwischen den verschiedenen Göttern gependelt waren, aber weder beim machtversessenen Zeus noch bei der kämpferischen Athene, weder beim trunkenen Bacchus noch bei der Glück heischenden Fortuna eine religiöse Heimat finden konnten. Aber das mag ein moderner Gedanke sein. Manches spricht mehr dafür, dass die Heiden das Leben der Christen als vorbildlich ansahen: die Gastfreundschaft füreinander und das geschwisterliche Gefühl der Zusammengehörigkeit über soziale Grenzen hinweg; die Betonung innerer Werte und des Jenseits, die Ablehnung von Prunk oder Protz nach draußen. Dagegen stand bei Christen das Engagement für Arme und Kranke im Vordergrund. Schließlich bot der neue Glaube auch noch eine Antwort auf die Angst vor dem Tode; in dem er das ewige Leben versprach und davon zugleich einen Vorgeschmack im Diesseits anbot, in dem er die alte jüdische Aufforderung ins Zentrum rückte, seinen Nächsten so zu lieben wie sich selbst. Wenn Gott doch jeden einzelnen Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen hat, wie es in der Bibel heißt, und ihn zwischen Diesseits und Jenseits so liebt, dass er gar seinen Sohn für diese Liebe opferte, dann sind folgerichtig auch die Menschen aufgefordert, sich gegenseitig ebenso zu lieben; selbst den Feind, weil er wohlmöglich Gottes Freund ist. Nächstenliebe und ewiges Leben – das waren die zwei zentralen Richtpunkte, die Christus mit Märtyrertod und Wiederauferstehung hinterlassen hatte; und die galten nach Paulus nicht nur für Juden wie ihn und seine Hebräer sondern für alle Völker. Zudem lockte die Erkenntnis, dass dieser dreieinige Gott in der gesamten damaligen Welt zu Hause war, eben in urbs und orbis, in Rom und dem Weltreich. Die Dreieinigkeit spiegelte mithin die Einheit des Römischen Reiches und verband alle Christen über Sprach-, Kultur- und Sozialgrenzen hinweg.
Der Heilige Geist wehte „selbst in Kappadozien“, wie Bischof Gregor von Nyssa Mitte des vierten Jahrhunderts feststellte. Er wirkte – folgt man den Kirchenhistorikern – recht früh schon ziemlich überall: bereits zu Beginn des 2. Jahrhunderts auch nördlich der Alpen, wo von (etwa) 135 bis 200 Irenäus von Lyon gelebt hatte, der wohl erste systematische Theologe des Christentums. Zu seiner Zeit gab es auch in Köln und Trier bereits christliche Gemeinden. Die galiläische Hefe Jesu schuf mithin eine Weltkirche, die den hellenistischen Osten trotz aller Unterschiede mit dem römischen Westen zur Einheit machte und zudem römisch besetzte Regionen der Barbaren nördlich der Alpen einschloss.