Die Texte leben doch – Am Tag der Bücherverbrennungen

(Lesezeit 4 Minuten) An diesem Freitag, dem 10. Mai jährte sich der Tag der Bücherverbrennungen, an dem die Nazis 1933 verfemte Literatur ins Feuer warfen. Um daran zu erinnern, versammelten der Galerist Alexander Ochs und einige Nachbarn wie schon in früheren Jahren Mitbewohner in Charlottenburgs Schillerstraße, deren Freunde und andere Interessierte, um vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung aus Werken der Verfemten zu lesen. Das trug sich wie schon bald traditionell in der Wohnung des Galeristen zu, die sich für einen Tag in einen Lese- und Konzertsaal verwandelte, um frische Erinnerungen einer guten Nachbarschaft zu schaffen.
Dabei ging es nicht nur um die Literatur, die NS-Schergen sowie Studenten und Professoren im Schatten der Humboldt-Universität an jenem Maitag 1933 auf dem Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz ins Feuer warfen: Bücher von Erich Kästner, Heinrich Mann, Paul Celan oder Stefan Zweig. Es wurde auch an die Autoren in der DDR erinnert, die verfolgt wurden oder emigrieren konnten wie Reiner Kunze oder Wolf Biermann. Da leider auch heute humanistisch gesonnene Literatur von den Mächtigen in China oder von Populisten in aller Welt auf virtuelle Scheiterhaufen geworfen wird, lasen Nachbarn zudem aus Werken chinesische Autoren vor, wie dem Ehepaar Liu Xiaobo und Liu Xia.
Immer wieder wurden die Texte durch Musik unterbrochen. So leitete eine begnadete Klezmer-Band mit ihren melancholischen Melodien aus der jüdisch aschkenasischen Tradition Galiziens den Vortrag von Gedichten der jüdischen Lyrikerin Rose Ausländer ein, die zweimal ihre Heimatstadt Czernowitz in der Bukowina verlassen musste; zunächst floh sie vor den Sowjets, später vor den Nazis. Sie konnte nicht viel mehr ins Exil mitnehmen als ihre Muttersprache und ihre Erinnerungen, von denen sie später in Deutschland in ihren Gedichten zehrte. Rose Ausländer überlebte die Nazigräuel und das Elend des Zweiten Weltkrieges. Dagegen erinnern vor dem Haus in der Schillerstraße neun Stolpersteine an jüdische Mitbürger, die in der Shoah umkamen.
Der denkwürdige Tag in der privaten Wohnung von Alexander Ochs hinterlässt nicht nur Traurigkeit über Gräuel der Vergangenheit. Er lässt auch die Freude darüber zu, dass die Literatur letztlich doch nicht verbrannt, die Musik der jüdischen Klezmer-Bands doch nicht zum Verstummen gebracht werden konnte und auch nicht alle Noten der Verbrannten mit zu Asche wurden. Das Erbe der Verfemten lebt und kann immer wieder zum Erklingen gebracht werden, nicht nur an jedem 1. Mai. Die Zuhörer warten darauf.