Mangelweihnacht – Kinderlos – Potsdam 1945

 

 

Hubertus v. Kieckebusch ist 1942 gefallen; nun warten Vater und Mutter K. auf die Rückkehr des zweiten Sohnes Burkhard, der noch vor Kriegsende eingezogen worden war. Aber bis zu diesem ersten Weihnachten nach Kriegsende ist er nicht  zurückgekehrt.)

 

24.12. Der Tag begann damit, dass ich erst nach Milch anstand, die

ich auf Grund der gestern erhaltenen Nummer bald bekam. Dann

ging die recht lange Warterei beim Schlächter vor sich, anschließend

besorgte ich für Tante Melly einen Sarg, d. h. ich bekomme tatsächlich

einen eigenen und keinen Leihsarg, aber vorläufig ist noch kein Holz

zur Anfertigung da, so dass die Leiche so lange warten muss. Außerdem

musste ich mich verpflichten, 100 Nägel in einer bestimmten

Größe für den Sarg zu liefern! Zssseiten, würde Hubertus sagen. Gottlob

hat Burkard in seinem herrlichen Handwerksschrank einen netten

Nägel-Vorrat, so dass ich nicht in Verlegenheit kam. In den hiesigen

Läden hätte ich auch nicht einen Nagel auftreiben können, höchstens

mit einem Pfund Butter unter dem Arm.

 

Heute am Heiligen Abend eilen meine Gedanken wieder um ein

Jahr zurück. Vor dem Mittagessen saß ich neben Burkard auf dem Sofa,

er hatte seinen Kopf auf meine Hand gelegt und sah mich so liebevoll

an: Nachher lag mein Kopf lange auf seinem Herzen, und meine Gedanken

beschäftigten sich damit, wie es um ein Jahr bei uns aussehen

würde, also heute! Lebt der geliebte Junge noch, für den ich täglich hier

meine Aufzeichnungen niederschreibe? Er soll, wenn er zurückkehrt, in

diesen Zeilen immer wieder finden, wie unsere fürbittenden Gedanken

ihn in der schrecklichen Trennungszeit umgeben haben.

 

Wir haben nach Möglichkeit alles so wie früher an Heiligabend

eingerichtet, so dass Burkards wehmütige und sehnsüchtige Gedanken

den alten gewohnten Gang gehen können. Um ½ 5 besuchten wir

die Christvesper in der Friedenskirche, da unsere liebe alte Garnisonkirche

ja restlos zerstört ist. Wir trafen uns dort mit beiden Bades

(Vater und Tochter Nr. 1). Es ist so merkwürdig, wie fest Bade, ebenso

Erika daran glauben, dass Burkard noch am Leben ist, während ich

so kleinmütig und oft ganz verzweifelt bin. Diese Prüfungszeit ist fast

übermenschlich. Käme doch noch in diesem Jahre ein Lichtfunke in

diese grausame Finsternis des bangen Wartens.

 

Wir aßen mit Bades zusammen zu Abend: Auflauf von Kartoffeln

und aus Fahrland im Sommer geholter Spargel, dazu eine Büchse

eingeweckten Fasan von 1943, hinterher Mohntorte. Die Bilder der

beiden Jungens hatte ich unter den brennenden Baum gestellt, dazu

die Geschenke von Burkard vom vorigen Jahr, dann wie schon an den

letzten beiden Weihnachten auch Hubertus’ letzte Geschenke. So lag

wieder etwas vor mir, das die Augen der geliebten Jungens noch gesehen,

ihre Hände noch berührt hatten. Ich bin ja darin ein großes

Kind. Bades schenkten uns eine Weihnachtskerze, wir ihnen genau

dasselbe. Nachher gab es noch Grog und Rum.

 

25.12. Heute vor 4 Jahren gingen wir mit Hubertus zu seinem letzten

Heiligen Abendmahl. Ich konnte damals der Tränen gar nicht Herr

werden, da ich WUSSTE, dass der geliebte Große nicht wiederkommen

würde. Ich habe die damals so felsenfeste Gewissheit jetzt nicht bei Burkard,

und doch ertappe ich mich so oft in tiefer Verzagtheit.

Als wir heute vor 2 Jahren am 1. Weihnachtstag abends auf der

Ofenbank zu dritt vorm Kamin saßen fuhr mir Burkard über den

Bauch: »Du warst schon mal im 7. Monat, Churchill, jetzt ist es schon

erheblich weniger geworden!« Wird sich der Junge daran erinnern,

wenn er dies lesen wird? Auch Hubertus konnte ja so trockene Bemerkungen

machen.

 

26.12. Nach dem Abendessen hatten wir gestern Frau v. Knoblauch

eingeladen Wir haben Mitleid mit dieser stets klagenden Frau. ja niemand

so ausgebombt, so bestohlen, so verhungert wie sie; niemand

wird von den Behörden so schikaniert, niemand vom Schicksal

so verfolgt wie sie. Ihre Klagen aber hängen uns allmählich zum Halse

heraus. Sie war nett und dankbar, dass wir ihrer Einsamkeit gedacht

hatten und genoss sichtlich den Rest der Mohntorte.

 

Vorgestern bekam A. Besuch von der besonders netten Frau Wassner,

ihrer ehemaligen Rote-Kreuz-Kameradin, Mann Studienrat und

Hauptmann, dazu Pg und in Gefangenschaft. Der jüngste 15-j. Sohn

geriet mit dem Vater in amerikanische Hände in Würzburg, wurde

allein entlassen und schlug sich nach Potsdam zur Mutter durch. Kürzlich

wurde er als Sechster seiner Klasse von der russischen GPU verhaftet.

Grund wurde nicht angegeben, man vermutet irgendwelche

Wehrwolf-Aktionen, die ja leider immer noch spuken! Da seine 5 verhafteten

Klassenkameraden nach 14 Tagen wieder entlassen wurden,

besteht die Hoffnung, dass auch Theo bald wieder erscheinen wird.

Keiner der Haftentlassenen, von denen bei einem Waffen gefunden

waren, darf auch nur EIN Wort darüber äußern, weshalb er verhaftet

war und wo er eingebuchtet war.

(Aus: Werner von Kieckebusch, „Ich traue dem Frieden nicht“ – Leben zwischen zwei Diktaturen – Tagebücher 1945 – 1946; hrg. von Jörg Bremer, Herder-Verlag, Freiburg 2020)

(jöb.)

3 thoughts on “Mangelweihnacht – Kinderlos – Potsdam 1945

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