(Lesezeit 5 Min) Fürs erste bleibt der Bürgermeister von Jerusalem hart. Nir Barkat, ein nationalistischer Kritiker von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, lässt sich von dem außerordentlichen Protest der drei wichtigsten Kirchen in seiner Stadt nicht beeindrucken. In seltener Einigkeit hatten der griechisch-orthodoxe sowie der armenische Patriarch gemeinsam mit der katholischen Kustodie der Franziskaner am Sonntag beschlossen, bis auf weiteres die Grabes- und Auferstehungskirche – die Anastasis – geschlossen zu halten; denn sie wollen die Grundsteuer (Arnona) nicht zahlen und beziehen sich dabei auf den “status quo”. Das ist jene Regelung, die von der osmanischen Zeit über das britische Mandat und die jordanische Ära von den Israelis übernommen wurde. Diese „Bewahrung des Status“ erließ den Kirchen bisher jede Steuer. Zunächst nahm der jüdische Staat das auch hin; seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Vatikan und dem israelischen Staat Anfang der neunziger Jahre wird aber um die Arnona gekämpft. Es gibt zähe Verhandlungen zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl in Rom, wobei die katholische Kirche – als Staat mit einem anderen Staat – für quasi alle Kirchen verhandelt. Mittlerweile ist klar, dass sich die Kirchen nicht mehr grundsätzlich einer Versteuerung ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten entziehen können; die Anglikaner zahlen schon. Aber von wann an und zu welchen Steuersätzen ist bisher ungeklärt.
Vor zwei Wochen teilte Barkats Jerusalem dem Außenministerium sowie dem Amt von Ministerpräsident Netanjahu mit, man werde damit beginnen, die fälligen Steuern einzutreiben. Dabei geht es dem Vernehmen nach um etwa 650 Millionen NIS – gut 150 Millionen Euro – aus 887 Immobilien, die zwar einer Kirche gehören, aber selbst nicht Kirche sondern Gästehaus, Hotel oder Restaurant sind. Zur Begründung der Stadt hieß es, bisher habe der Staat das Eintreiben der Steuern untersagt – aber nur aus politischer Rücksichtnahme und nicht aus rechtlichen Gründen. Damit soll nun aus Sicht der Stadt Schluss sein. Auf den Protest der Kirchen antwortete der Bürgermeister am Montag im Radio Kan, er schlage den Patriarchen den Rechtsweg vor und wundere sich über den Protest. „Die Schuldenlast ist über die Jahre gewachsen. Jetzt tun wir nur, was wir bei jedem Bürger der Stadt tun“, sagte Barkat. Sollten die Kirchen damit nicht zufrieden sein, stehe ihnen der Weg zum Gericht offen. „Ich wundere mich, dass sie nicht schon längst den Rechtsweg einschlugen.“ Mit diesem Protest jedenfalls, schadeten sich die Kirchen selber, stellte der Bürgermeister in dem Rundfunkgespräch fest.
Tatsächlich ist die Kirche das wichtigste Heiligtum der Christenheit überhaupt und zieht tagtäglich viele tausend Pilger an. Denn der Tradition nach wurde auf dem Gelände unter dem heutigen Dach der „Anastasis“, das vor 2000 Jahren einen Garten vor der Stadtmauer darstellte, Jesus gekreuzigt und begraben. Hier stand er drei Tage nach seiner Beerdigung wieder auf von den Toten. Doch gerade weil dieser Platz so wirkmächtig ist, hoffen die Kirchen darauf, dass ihr Protest nicht verhallt; und so präsentierten sich der griechisch-orthodoxe Patriarch, der armenische Patriarch sowie der franziskanische Kustos am Sonntagnachmittag vor dem geschlossenen Tor der Anastasis und geißelten die “systematischen Kampagne gegen die Kirchen und die christliche Gemeinde im Heiligen Land” sowie die offene Verletzung des bestehenden status quo.
Kürzlich hätte diese systematische und offensive Kampagne gegen die Kirchen einen „bisher ungeahnten Höhepunkt“ erreicht, stellten die Kirchenväter fest, die zugleich im Namen der drei weiteren Denominationen in der Kirche sprechen: den Kopten, Syrern und Äthiopiern. Die Stadt verschicke nicht nur Steuerforderungen; sie wolle auch Kircheneigentum und Bankkonten zur Begleichung dieser Steuerschuld einziehen, „ein Schritt, der der historischen Situation der Kirchen in der heiligen Stadt von Jerusalem und ihren Beziehungen zu den Behörden widerspricht.“ Das Vorgehen stehe nicht in Einklang mit bestehenden Vereinbarungen und internationalen Verpflichtungen der Stadt gegenüber den Rechten und Privilegien der Kirchen. Am meisten betroffen seien nun arme Familien, denen Nahrung und Dach genommen und wohlmöglich die Schule entzogen werde, denn die Christen schicken ihre Kinder in zumeist private christliche Schulen, die Geld kosten. Der jetzige Schritt folge früheren Protesten der Kirche vom September 2017. „Zusammen mit allen Oberhäuptern der Kirchen im Heiligen Land sind wir vereint, fest und entschlossen, unsere Rechte und unser Eigentum zu schützen“.
Tatsächlich richtet sich das Vorgehen des Bürgermeisters nicht nur gegen die Kirchen. Barkat will auch den Ministerpräsidenten unter Druck setzen: Darum jagt er Netanjahu in das internationale diplomatische Feuer, das nun zu erwarten ist und fordert ohnedies mehr Geld vom Staat für seine Stadt. In einer Situation, in der Netanjahu wegen der gegen ihn gerichteten Korruptionsvorwürfe schwach ist, spielt Barkat den starken Mann und bietet sich so als dessen Nachfolger an. Die schwachen Kirchen sind leicht zu prügeln.
Der harte Protest der Kirchenführer wiederum hat vor allem aus der Perspektive des griechisch-orthodoxen Patriarchen einen zweiten Grund, richtet er sich doch nicht nur gegen die Stadt sondern auch gegen einen Gesetzesentwurf der Knesset, der die staatliche – laut den Kritikern „rassistische“ Enteignung von Grundstücken der Kirche ermöglicht. Dabei geht es vor allem um jene Grundstücke, die die griechisch-orthodoxe Kirche seit 2010 verkaufte. Es geht um unermesslich wertvolle Immobilien in Jerusalem und darüber hinaus; denn nach dem Jüdischen Nationalfonds ist die griechisch-orthodoxe Kirche der reichste Immobilienbesitzer, und der jetzige und der frühere Patriarch stehen in dem Ruf, ohne Zustimmung der palästinensischen Gemeinden frei über diese einst von Arabern an die Kirche vererbten Grundstücke verfügt und sie zum Teil viel zu billig versilbert zu haben. Gegen diesen Vorwurf wendet sich der Patriarch nun und spielt nun den arabischen Patrioten, der plötzlich die Rechte seiner Kirche und ihrer lokalen Gemeinden verteidigt. Tatsächlich gibt es übrigens für den Gesetzentwurf, den der Knesset-Ausschuss am Sonntag gleich wieder von der Tagesordnung nahm, keinen Grund mehr. Im Parlament hatte man zunächst vermutet und darum die Novelle 2010 eingebacht, der griechische Patriarch habe die Grundstücke womöglich an die Golfstaaten oder andere Muslime verkauft. Tatsächlich verbargen sich hinter den Offshore-Firmen und unbekannten Käufern jüdische Siedlergruppen. Mutmaßlich ist darum das Interesse, diese neuen jüdischen Eigentümer zu enteignen, in dieser jüdisch-nationalistisch orientierten Knesset nicht so groß. jöb.