In Italien haben nun die Wähler das Wort – und die waren selten weise

(Lesezeit 7 Minuten) In Italien ist der Wahlkampf zu Ende. An diesem Sonntag wird gewählt. Spätestens am Dienstag wird die Welt wissen, wie die beiden Kammern des Parlaments in Zukunft besetzt sein werden. Am Freitag schien der Ausgang ungewiss, ein Sieg der rechten Mitte im Bündnis von Ex-Ministerpräsident Berlusconi von der Forza Italia (FI) und dem Partner von der nationalistischen europa-feindlichen Lega Matteo Salvini am wahrscheinlichsten. Aber siegen allein reicht nicht. Für eine stabile Regierung sind 40 Prozent in beiden Kammern nötig. So stehen Koalitionsverhandlungen bevor.
Auch wenn dieser Wahlkampf schier endlos erschien, die für Italien wichtigen Themen wurden, wie der „Corriere“ resümierte, kaum behandelt. Der Überalterung bei anhaltender Abwanderung der Jugend, den Staatsschulden, Italiens Wachstum und den Beziehungen zur EU widmeten Presse und Politik wenig Aufmerksamkeit. Es gelang Ministerpräsident Paolo Graf Gentiloni und seinem Parteichef Matteo Renzi vom Partito Democratrico (PD) auch nicht, die Erfolge der Regierungsarbeit seit 2013 so darzustellen, dass Wähler beeindruckt sein könnten. Dabei gibt es Wirtschaftswachstum, wenn auch geringer als in anderen EU-Staaten. Die Arbeitslosigkeit nahm ab, wenn auch gerade 2017 wieder die Zahl der Teilverträge zulasten der Verträge für Vollbeschäftigung zunahm. Schließlich konnte Innenminister Marco Minniti den Ansturm von Flüchtlingen über das Mittelmeer dämpfen; freilich mit Vereinbarungen in Libyen und unter Missachtung von Menschen- und Bürgerrechten.
Gleichwohl stehen die Siegchancen für Renzi/Gentiloni nach den letzten Umfragen (von vor zwei Wochen) schlecht. Denn in der Presse werden selten Zahlen und ernsthafte Themen behandelt, wohl aber die parteiinternen Kabalen, und diese Streitigkeiten fallen dann ins Gewicht: Renzi konnte seine Partei nicht versöhnen. Die Eitelkeiten der alten Führer von D` Alema bis Bersani belasten weiter den PD. Renzi setzte mit brachialer Gewalt seine Kandidaten auf den Listen durch. Schließlich wird ihm verübelt, dass er selber (zwar nicht Regierungschef aber) Senator werden möchte. In Italiens Politik ist Vergesslichkeit weit verbreitet, aber das Renzi den Senat abschaffen wollte und beim gescheiterten Referendum gegen diesen lähmenden Bikameralismus von Senat und Abgeordnetenhaus fiel, hat sich eingeprägt.
Die populistische „Bewegung Fünf Sterne“ dürfte nach den Umfragen als stärkste Kraft aus dem Rennen gehen. Ihr Chef, der 31 Jahre junge Luigi Di Maio möchte Ministerpräsident werden. Das will er seit Jahren, dabei dürfte es sich bei ihm um jenen Spitzenpolitiker in Rom handeln, der am wenigsten Ahnung von Italiens Lage in der Welt und seiner finanziellen Situation hat. Seit Monaten schon lenkt der fröhliche Flachbrettbohrer Di Maio die „Sterne“ ohne den „Garanten der Bewegung“, den Komiker Beppe Grillo, der es dem Vernehmen nach Leid war, weiter Opposition auf Marktplätzen zu treiben, während Di Maio feine Krawatten in den Palästen der Politik vorführt. Jetzt weiß niemand mehr, für was diese „Bewegung“ steht; schon gar nicht nach der Aufstellung des Di-Maio-Kabinetts, in dem Vertreter sitzen, die den Senat abschaffen wollten, für dessen Erhalt Di Maio kämpfte. Die meisten „Minister“ saßen bisher in keinem Parlament. Sie stammen aus den Hochschulen, wo sie nach bissigen Kommentaren ihrer Kollegen wegen wissenschaftlicher Blässe ohne Zukunft gewesen wären.
Allein aber dürfte die „Bewegung“ bei allem Triumph nicht die nötigen 40 Prozent bekommen. Sie müsste koalieren. Während Grillo dergleichen noch als Verrat an der Bewegung ausgeschlossen hätte, guckt sich Di Maio schon um und sieht im konservativen Lager einen möglichen Partner für seinen Drang an die Macht. In dem Bündnis von Berlusconi und Salvini muss man sich nämlich nichtfestlegen. Dort will Berlusconi den Getreuen Antonio Tajani zum Ministerpräsidenten machen, und der ist Präsident des EU-Parlaments; während Lega-Chef Salvini (als EU-Deputierter seit Jahrzehnten von der EU alimentiert wird) Italien im Geiste seiner französischen Freundin vom Front National Le Pen von den „Ketten der EU“ befreien will. Was für ein Pakt kann das sein? Sollte Berlusconis FI bei der Wahl die meisten Stimmen einfahren, würde Tajani Regierungschef. Im anderen Fall Salvini. In jedem Fall erschiene die FI/Lega- EU-Politik – wohlmöglich auch noch mit Di Maio im Boot – als ein einziges Fragezeichen.
Zum Glück gibt es den italienischen Präsidenten. Sergio Mattarella hat nur ein Interesse: Italiens Stabilität. Er entscheidet, wer eine Regierung bilden soll. Selbst wenn Gentilonis PD als Verlierer aus dem Rennen ginge, könnte ihn Mattarella auffordern, ein Kabinett mit der Mehrheit in beiden Häusern zusammenzustellen. Eine Koalition aus PD und FI wäre dann das Beste, was Italien und Europa passieren könnte. Diese Chance besteht, aber die Wähler müsse sie auch möglich machen, und Weisheit war bisher bei Italiens Wählern eine seltene Tugend. jöb