(Lesezeit 4 Minuten) Soll man sich der Auseinandersetzung im Netz stellen? Ich glaube ja und bitte reihum um mehr Engagement für mehr Kultur und Sachlichkeit im Internet. Lasst uns nicht im Hasshagel allein!
Ganz egal, ob in allgemeinen Internet-Medien wie Twitter oder Facebook oder aber bei dem eigentlich professionell gedachten Vernetzungsportal LinkedIn, auf mittlerweile allen Kanälen schrillen dem Nutzer emotionale Kommentare, unsachliche Stellungnahmen, wenn nicht pauschal sexistische, antisemitische, ausländerfeindliche und in der Regel auch unpatriotische Verlautbarungen voller Hass entgegen. Für die Mehrheit dürfte das so abstoßend sein, dass sie sich solchen Kommentaren nicht aussetzen will und sie einfach wegdrückt. Oft kann man ja einen Nutzer oder eine Nutzerin, der/ die sich so äußert, auch aus seinem eigenen Netz werfen. Auf alle Fälle will sich der nüchtern und Vernunft gelenkte Mensch nicht anstecken lassen – weder von Theorien der Verschwörung, dem Kampf der einen gegen andere Klassen, der „Diktatur in Deutschland“ oder dem psychiatrischen Notfall einer Verachtung seiner selbst und aller anderen. Niemand möchte gerne im Hasshagel getroffenen werden.
Andererseits nehmen solche Kommentare stetig zu, und mir drängt sich der Eindruck auf: Die dahergerotzten Töne nehmen Überhand, weil sie ein Vakuum füllen, weil ihnen nicht unverzüglich und stets widersprochen wird. Wer nicht zurechtgewiesen wird, fühlt sich bestätigt. Tatsächlich gibt es ja mindestens eine Partei in Deutschland, die sich als „Alternative“ versteht, dies Vakuum füllt und damit in den östlichen Bundesländern Mehrheiten produzieren kann. Ist es da nicht höchste Zeit, dass wir zumindest in unseren privaten Netzen dagegenhalten?
„Man wird doch wohl noch sagen können, …“! So beginnt oft der Kommentar einer bedrückten Seele. „Ja natürlich“, muss man ihr antworten. „Bitte; nur zu! Denn während Du womöglich im NS-Staat oder in der DDR oder heute in Russland oder in der Türkei für Deine Meinung in Haft kämest, kannst Du im freien Deutschland so ziemlich alles sagen, was Du nur willst. Freilich werden dämliche Argumente dadurch nichtzutreffend, Verleumdungen nicht straffrei. Du musst mit Kritik rechnen.“ Leider aber findet diese Kritik eben auch in diesem Netzwerk selten statt. Viel zu viel Unsinn wird hingenommen. Wir scheuen den Streit.
Mich bekümmert das; denn zum einen haben ja diese bedrückten Seelen offensichtlich ihre Not. Irgendetwas behagt ihnen nicht, und es wäre gut, den Ursachen therapeutisch auf den Grund zu gehen. Aber genau das wollen natürlich diese betrübten Seelen nicht. Sie meiden geradezu den Diskurs.
Dummdreiste, wenn nicht gar strafrechtlich belangbare Kommentare wie, „alle Politiker sind doch Idioten“, „die Merkel ist eine voll gefressene Sau“ und wir alle „bald total am Ende“, weil es die „verbrecherische Willkommenskultur“ dazu gebracht hat, dass Deutschland „von muslimischen Frauenschändern ausgelöscht“ wird, dürfen gleichwohl nicht unbeantwortet bleiben. Natürlich kann man auf sie nicht nur sachlich eingehen. Fakten wollen die Verfasser ja auch nicht wissen. Man erreicht sie weder mit Statistiken noch mit kühler Wissenschaft; denn „natürlich“ sind in ihren Augen Tatsachen von „interessierten Kreisen“ oder der „Fake-Presse“ gelinkt.
Es geht ihnen allein um die Bestätigung des Vorurteils. Bestätigt fühlen sich diese Kreise aber nur, wenn sie nicht zurechtgewiesen werden. In dem Maße, indem ihnen widersprochen wird, müssen sie sich verunsichert fühlen und wohlmöglich zum Rückzug blasen.
Ich mache mir da Hoffnung; denn diese verleumdenden Herrschaften und letztlich schwach. Sie werden vor allem von Emotionen gelenkt, von Vorverständnis geprägt und kotzen die Malaise ihres Lebens ins Netz. Ihre Kommentare sind nicht konzentrierte Arbeit sondern wirken wie der Reflex eines Menschen mit Aufmerksamkeitsstörung; sie gehen meist nur indirekt auf den Text ein, der sie zum „Kotzen“ veranlasst. Es geht eben nicht um die Sache sondern um die Sucht nach Gleichgesonnenen; und dagegen muss man anhalten.
Theodor Adorno hat vor mehr als 50 Jahren schon darauf verwiesen, was die deutsche Rechte trug. Mutmaßlich sieht es bei Extremisten von rechts (wie links) heute nicht viel anders aus. Mit einer Sehnsucht nach (nie dagewesenen) alten Zeiten, dem Urgefühl von Fremdenfeindschaft, Antisemitismus und der sozialen Einsamkeit gehen in den östlichen Bundesländern Verlustgefühle einher. Man könnte annehmen: Die Leistungen der heutigen Rentner in der Ex-DDR wurden offenbar nicht belohnt; während zugleich der Diskurs der alten mit den jungen unterblieb, denn viele ihrer Kinder gingen in die großen Städte und den Westen. Tatsächlich wählen aber auch saturierte Rentner den Protest, weil das offenbar beim Grillen im Garten als schick befunden wurde. Überdies setzte sich der Westen im Osten ja auch tatsächlich oft als stieseliger Sieger arrogant über das „System“. Das mögen mögliche Erklärungen vieler Hass-Kommentare aus dem Osten sein. Aber auch im alten Westen wird Hass geschürt. Wenn entsprechende Kommentare bei LinkedIn laut werden, fällt es schwer anzunehmen, dass sich hier sozial Benachteiligte äußern. Vielmehr könnte es sich um eine „Schickeria des Hasses“ handeln, die in ihrem Cabrio persönliche Probleme bis zur bourgeoisen Langeweile plagen. Vielfach mag Neid eine Rolle spielen, der in Deutschland leider besonders ausgeprägt ist.
Allen Hass-Kommentaren – aus welche Richtung auch immer – ist in der Regel gleich, dass sie nichts Aufbauendes anbieten. „Alternative“ bedeutet sinngemäß, dass man dem einen etwas anderes entgegenhält. Das aber fehlt nicht nur bei der deutschen Partei dieses Namens. Bei den beobachteten Kommentaren herrscht vielmehr apokalyptische Stimmung; und die macht es überflüssig, sich überhaupt noch mit der realen Welt zu befassen. Oft spricht aus diesen Kommentaren geradezu selbstmörderische Trostlosigkeit. Schon deswegen sollte man diesen Stimmen etwas entgegensetzen. Das könnte dann ein Gefühl der Sensibilität und Mitmenschlichkeit sein, so schwer das auch fallen mag.
Letzthin habe ich mir angewöhnt, in Kommentaren einen sachlichen Hinweis mit einer emotionalen Wendung zu verbinden. Diese Mischung mag hilfreich sein, um nicht das zu erreichen, was der Hassprediger ohnedies vermutet. Er will ja nicht verstanden werden sondern entweder in seinem Hass Genossen finden oder auch gehasst werden und so Opfer sein. Diese Opferrolle aber sollte man ihm nicht gönnen.
Hassprediger sind nicht Opfer sondern Zerstörer des demokratischen Deutschlands, in dem zum Beispiel kaum einer mehr Politiker sein will, weil er sich nicht täglich bei mittlerer Bezahlung dem Hass der Kranken aussetzen möchte. Allemal werden Netze wie LinkedIn etc. überflüssig, wenn man sie den Meinungsterroristen überließe.