Italien: Ohne Regierung – Vor Neuwahlen?

(Lesezeit 5 Minuten) Italien wird auf weiteres unregierbar bleiben. Und ganz egal welche Koalition letztlich dann das EU-Gründungsland regieren dürfte, für die EU und Europa wird Italien wohl in jedem Fall mehr zur Belastung als zum Mitkämpfer an der Seite Frankreichs und Deutschlands werden. Seit dem 4. März bemühen sich die Eliten in Rom um eine Regierung. Am Montag schlug nun einer der Wahlgewinner, der junge Politiker der “Bewegung Fünf Sterne”, Luigi Di Maio Neuwahlen noch im Juni vor. All seine “ehrlichen” Bemühungen um eine Regierungsbildung seien an der “Blockade engstirniger Einzelinteressen” gescheitert.

Am 4. März hatten sieben von zehn Italienern entweder die „Rechts-Populisten“ mit der Lega unter dem Europa-Abgeordneten und EU-Opponent Matteo Salvini an der Spitze oder die gesichtslosen „Links-Mitte-Rechts-Populisten“ von der „Bewegung Fünf Sterne“ gewählt, deren Anführer Di Maio schon seit seinem Einzug ins Abgeordnetenhaus zur vergangenen Wahlperiode 2013 den dunklen Anzug trägt, um jeden Tag zur Machtübernahme bereit zu sein. Tatsächlich gebührt ja auch Salvini mit seinem Juniorpartner und Politik-Greis Silvio Berlusconi mit der Forza Italia (FI) an der Seite einerseits und Di Maio auf der anderen die Macht. Allein, beide Lager lehnen diese Paarung ab: Berlusconi will sich nicht mit „Sterne“-Populisten gemein tun, die er für Politik-„Terroristen“ hält, und die „Sterne“ ihrerseits haben nur so großen Erfolg, weil sie gegen die „alten Eliten“ und „verkommenen Parteien“ Sturm laufen: Für sie ist der „korrupte Medienzar“ das Böse schlechthin. Berlusconi will übrigens auch nicht nach der Pfeife seines in der Wählergunst stärkeren Partners Salvini tanzen, diesem jugendlichen EU-Politiker, der seit Jahrzehnten von Diäten aus Brüssel, aus dessen „Ketten“ er Italien befreien will. Berlusconi gibt sich dagegen EU treu. Von vornherein war mithin das Bündnis Berlusconi-Salvini ein Wahlbetrug; es kann nur auf lokaler Ebene tragen.
Wenn nun aber die „Rechtspopulisten“ und die „Links-Mitte-Rechts-Populisten“ jeweils alleine nicht regieren können, weil sie nach dem Wahlrecht dafür jeweils 40 Prozent der Stimmen erhalten haben müssten und gemeinsam nicht regieren wollen; dann müssen sie sich jeweils nach einem anderen Partner umsehen. Da bleibt nur die sozialdemokratische Partei, der Partito Democratico (PD) übrig, der fast sieben Prozent der Stimmen gegenüber den Wahlen 2013 verlor und mit weniger als 20 Prozent jämmerlich abschmierte. Ex-Regierungschef und Parteichef Matteo Renzi trat daraufhin zwar unverzüglich zurück; aber noch immer gibt es keinen Nachfolger, und so spielt Renzi weiter die erste Geige. Im März tat er dasselbe, was auch der glücklose Ex-EU-Präsident Martin Schulz in Deutschland für den Wahlverlierer SPD tat. Renzi legte seine Partei auf Opposition fest. In der Opposition nur könne man sich erneuern, zitierte er seinen deutschen Freund. Man habe nun einmal verloren und müsse dafür die Folgen tragen. Aber nicht alle PD-Politiker sehen das so. Wie immer ist der PD in sich zerstritten; und gerade diejenigen, die Renzi selber im Aus sehen wollen, wünschen nun den PD drinnen an der Macht. Bisweilen hört man aus jenen Kreisen: Es sei doch geradezu widerlich, dass Renzi noch vor ein paar Monaten den Senat habe abschaffen wollen; nun aber – nach dem verlorenen Referendum darüber – als Senator in der Politik bleibe.
Di Maio, immer noch im dunklen Anzug, hatte auf diese innerparteilichen PD-Streitereien gesetzt. Sehnsüchtig hatte der machthungrige Ex-Programmierer darauf gebaut, dass er den Anti-Renzi-Flügel doch noch als Regierungspartner gewinnen könnte. Di Maios Unterhändler Roberto Fico hatte dafür vergangene Woche im Auftrag des Staatspräsidenten Sergio Mattarella den amtierenden PD-Kulturminister Dario Franceschini „konsultiert“. Aber daraus wurde nichts. Nach langem Schweigen trat Renzi nun am Sonntagabend wieder einmal im Fernsehen auf und legte seine Partei neuerlich auf Opposition fest. Im wie immer blütenweißen Hemd beteuerte Renzi: „Wer die Wahlen verliert, kann nicht in die Regierung.“ Seine Äußerung von 4. März sei kein Scherz gewesen. Man könne nicht hinten durch das Fenster wieder einsteigen, wenn man vom Wähler mit Karacho aus dem Haupttor herausgeworfen worden sei. Außerdem dürfe der PD nicht mit Populisten wie den „Sternen“ regieren, „die uns Mafiosi, Korrupte, Freunde der Banken und des Öls“ nannten; „allemal dann, wenn es kein gemeinsames Projekt für Italien gibt“. Die Sozialdemokraten dürften sich nicht für den Populismus der „Sterne“ missbrauchen lassen. „Sollen doch endlich die Sieger eine eigene Regierung auf die Beine stellen!“, sagte Renzi. An diesem Mittwoch tagt der 120-Mitglieder starke erweiterte PD-Parteivorstand. Renzi scheint sich sicher zu sein, dort für seinen Kurs eine breite Mehrheit zu finden. Die erhielt er übrigens in diesem Gremium bisher immer; denn seine Kritiker sind zwar lautstark und werden in den Zeitungen prominent zitiert. Aber sie haben in der Partei keineswegs das Sagen.
Wütend blieb darüber der junge Herr Di Maio zurück. Er wirft Renzi ein „maßloses Ego“ vor, habe er, Di Maio, doch den Sozialdemokraten vorgeschlagen, für die gemeinsamen Programmpunkte wie bei Armut und Europa zusammen eine Regierung zu bilden. Aber wenn nun dieses Nein von Renzi die Haltung der gesamten Partei ist, „dann müssen wir unverzüglich wieder wählen; und sei es im Juni.“ Er schlage Salvini vor, gemeinsam zum Staatspräsidenten zu gehen, um von ihm Neuwahlen so schnell wie möglich zu erbitten, sagte Di Maio am frühen Nachmittag in einer TV-Botschaft. Schon am Morgen hatten „Sterne“-treue Medien berichtet, die Mehrheit der Bewegung sei wie Di Maio für Neuwahlen. Im Blick auf die nationalen Umfragen könnten die „Sterne“ sich so einen weiteren Wahlgang auch leisten. Es sieht nicht nach danach aus, als nähme die Gunst der Wähler für sie italienweit ab. Allerdings wurden sie just am Sonntag bei den Regionalwahlen im Nord-Osten, im Friaul-Veneto, bestraft. Bei den nationalen Wahlen erhielten sie dort noch 27 Prozent. Nun erreichten sie nur noch knapp zwölf. Lachender Sieger wurde im Friaul die Lega, die neuerlich im Bündnis mit Berlusconis FI, gut 57 Prozent erhielt. Dieser Erfolg zwischen Triest und Pordenone dürfte den Lega-Spitzenpolitiker Salvini auch in Rom stärken.
Insgesamt wird durch die jüngsten Regionalwahlen im Nordosten die Lage nicht leichter. Aber wer auch immer dann zum Schluss mit oder ohne nationale Neuwahlen Italien regieren sollte; für Europa gibt es keine guten Aussichten. Selbst jene Politiker, die sich – wie der amtierende Ministerpräsident Paolo Gentiloni oder Finanz- und Wirtschaftsminister Pier Carlo Paduan – entweder für den PD oder als Technokrat an der Macht halten wollen – im jüngsten Taumel um die größten Wahlgeschenke machen auch diese „gemäßigten“ Politiker ihre Versprechen auf Kosten der EU-Steuerzahler. In den letzten Monaten hat sich Brüssel bereit erklärt, bei der Integration der Flüchtlinge kräftig zu helfen. Mittlerweile aber reicht das Italien nicht mehr. Fast jede Struktur-Investition soll von der EU mitfinanziert werden; ganz zu schweigen von der Hoffnung aller Italiener, dass die Schulden Italiens bald Schulden aller EU-Staaten sein sollen. Die Reformunfähigkeit Italiens, nicht zuletzt bei der Regierungsbildung, bringt es mit sich, dass Italien zunehmend zum EU-Geldempfänger wird. Schlechte Aussichten! jöb.