Schmerzliche Widersprüche – Tage im Libanon

By adminJuly 21, 2021Beirut, Tagebuch

(Lesezeit 4 Minuten) Mit gerade einmal 28°C ist es eigentlich gar nicht heiß; aber die Luftfeuchtigkeit von etwa 80 Prozent macht zu schaffen. In der Nacht kühlt es kaum ab. Da ist es fraglich, ob man überhaupt ein Fenster aufreißen soll, um Luft in die Wohnung zu bekommen. Es weht zwar ein Wind, aber der ist so nass, dass die Wäsche auf dem Balkon kaum trocknet. In der Wohnung haben wir eine Klimaanlage; und bisher fiel der Strom auch noch nicht aus. Also lieber alle Fenster die meiste Zeit zu und zumindest in einem Zimmer bei offener Zimmertür den gesamten Tag über die Anlage an? Wir können uns das leisten; gehören zu den Reichen in diesem Libanon.

Seit einigen Tagen bin ich in Beirut. Unser Sohn Johann-Philipp ist zu Anfang des Monats in die Hauptstadt der Levante gezogen; er wurde Leiter des Länderbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung für ihr „Rule of Law“-Programm in der MENA-Region, also für den Mittleren Osten und Nordafrika. Ich bin nur Tage später als sein erster Gast zu Besuch. Tag für Tag versuche ich nun, in die Geheimnisse dieser Stadt einzutauchen; aber diese abgewrackte Schönheit Beirut ziert sich. Ihre Widersprüche geben kein einheitliches Bild her.

Schon beim ersten Gang aus Philipps Viertel Badaro, einem kleinen, christlich geprägten Quartier der Mittelreichen, hinaus, stoße ich auf elende Armut. Hier noch stehen die Luxuskarossen, SUWs vom teuersten. Nur ein paar Straßenzüge weiter alte zerbeulte Wagen, wie ich sie aus Havanna erinnere. Luxuriöse Hochhäuser mit dem Concierge am Eingang gucken in Badaro auf unverputzte Betonblocks nebenan hinunter, in denen nur einige Wohnungen noch bewohnt sind und die Fenster fehlen – und das nicht erst seit der Explosion am Hafen im vergangenen August.

Im christlichen Quartier führen die Herrschaften ihre Köter aus; gleich nebenan im Armenviertel kaum mehr Hunde; wohl aber nagen hier wilde Katzen an den Resten aus dem Müllcontainern. In Badaro duftet immer wieder Je-Länger-Je Lieber, locken Gärten hinter dem Zaun. Im Viertel nebenan stinkt häufiger der Müll in seinen undefinierten Behältern; eine Mülltrennung gibt es offenbar nicht. Spielplätze für Kinder habe ich bisher nirgends gesehen; wohl aber Grundstücke mit Ruinen wohl noch aus osmanischer Zeit stammender Häuser.

In dieser Kulisse bewegen sich Beiruts Menschen. Es sieht nicht so aus, als würden die Reichen durch die Quartiere der Ärmeren gehen. Sie touchieren diese Viertel im engen Verkehr nur mit ihren Wagen. Und wenn sich beide Schichten doch einmal begegnen, verstört die Schamlosigkeit, mit der die Reichen ihren Schmuck und ihre Rolex präsentieren und auch noch vor einer Gabe für Bettler warnen; denn die würde man nie wieder los. In Badaro hört man Französisch, auch wenn die Hauptsprache der christlichen Libanesen von Englisch verdrängt wird. Dagegen ist Arabisch Hauptsprache in den muslimischen Nachbarschaften und auch die offizielle Amtssprache der etwa 7 Millionen Libanesen. Hier noch prägen die Kirchen und christlichen Schulen das Bild; von nebenan schallt zu den Gebetsstunden die Stimme des Muezzins herüber. Ob freilich der pauschale Gegensatz stimmt, wonach Christen reich und Muslime arm seien, lässt sich so einfach nicht sagen. Denn es gibt auch die Luxusgebiete der Muslime, in denen sich hinter hohen Mauern die Millionäre in ihrem Reichtum suhlen. Im Libanon gibt es eben alles. Nach einer Woche ahne ich darum immer noch nicht, was diese Gegensätze zu einer Einheit zusammenfasst.

Ich habe erfahren, dass Libanesen mit Dollar quasi alles kaufen können, während die armen Schlucker mit örtlichen Gehältern kaum mehr überleben. Innerhalb einer Woche sprang der Wert eines Dollars von 16 000 auf fast 20 000 Lire. Der Staat kann kaum mehr Strom importieren und auch kein Benzin für die Tankstellen. Medikamente fehlen auch. Die Reichen mit westlicher Währung können sich gleichwohl alles leisten, alles importieren; für sie gibt es auch die Läden, die alles anbieten. Gerade in diesen Sommerwochen, in denen die Auslandslibanesen zum Heimatsbesuch zurückgekehrt sind, kommt viel harte Währung wieder ins Land. Nicht nur Malls sind daher voller Besucher; in den Kneipen der Badaro-Straße muss man Plätze reservieren.

Offiziell verdient ein libanesischer Politiker weniger als jeder einzelne Mitarbeiter von Philipp, deren Gehälter an den Euro gekoppelt sind. Aber es interessiert sich auch kaum jemand für Politiker und ihr Tun. Als es jüngst vom amtierenden Ministerpräsidenten Saad Hariri hieß, er könne dem Präsidenten endlich eine Regierungsliste vorlegen, hoffte ich auf eine stabile Regierung. Die Kenner des Landes aber lachten nur über meinen Optimismus und behielten recht: „Die brauchen diese Leute nicht, wollen sie gar nicht!“, sagten sie.

Präsident Michel Aoun ist ein maronitischer Christ, der eigentlich die Belange seiner Volksgruppe vertreten sollte; da er aber im schiitischen Umfeld groß wurde, hat er sein Schicksal mit der Hizbullah verknüpft. Diese Schiiten aber brauchen keine neue Regierung. Im Gegenteil: Sie können nur ohne eine starke Regierung in Beirut ihren Glaubensstaat im Staat Libanon ausbauen; Armee inklusive. Sie können sich an den verbliebenen staatlichen Geldern bedienen und dabei nur an ihre eigenen Interessen denken. Im Übrigen sei die gesamte politische Klasse korrupt, heißt es; und dann wird zunächst ein Schwiegersohn von Aoun genannt und zum Schluss auch der Sunnit Saad Hariri selber. Dieser Unternehmer, der auf der Forbes-Liste der reichsten Menschen dieser Welt ziemlich weit vorne steht, auch wenn sein vor allem in Saudi-Arabien tätiger Baukonzern Oger angeschlagen sei, könne auch wunderbar ohne eine Regierung leben. Andererseits steht dieser Sohn des im Februar 2005 ermordeten früheren Regierungschefs Rafiq Hariri für das Erbe dieses so angesehenen Vaters, der seinerzeit offenbar den Schiiten der Hizbullah zu mächtig geworden war und darum sterben musste.

Aber was da wirklich zwischen den Clanführern des Landes, zwischen den Chefs der sunnitischen und schiitischen, christlichen und drusischen Gruppen abläuft, die sich seit dem Nationalpakt 1943 und dem Abkommen von Taif die Macht untereinander aufteilen, entzieht sich den Menschen. Die Presse erscheint frei; die Zeitungen kritisieren auch die Politik; aber viele Entwicklungen bleiben einfach nur rätselhaft. Kann es stimmen, dass die Türkei mit ihren Verbündeten in der Enklave Idlib, in der Rebellen weiter gegen Präsident Assad ein Stück Land für sich bewahren, das libanesische Tripoli im Norden überrollen wollen, um einen Hafen zu bekommen und um so ihre Widerstandskraft gegen Assad zu stärken? Dieses Gerücht gebe es schon lange, heißt es beschwichtigend.

In dieser Welt der ungeklärten Gegensätze und Fragen ist es wie eine Erholung, das wunderbare Nationalmuseum mit seinen Altertumsschätzen in Beirut zu besuchen oder in den großen Tempeln von Baalbek die römische Geschichte aufleben zu lassen. Bei einem Tee auf der Terrasse des alten „Hotels Palmyra“, wo schon Kaiser Wilhelm II. auf dem Weg von Jerusalem nach Damaskus Station machte, prägen wir uns die Bilder des Bachus-Tempels ein. Hoch über der feuchten Küsten Region erholen wir uns anderntags bei der Ortschaft Ehden unter den herrschaftlichen Zedern, besuchen jahrhundertealte Klöster und sehen von 3000 Meter Höhe sowohl in die Bekaa-Ebene mit Baalbek zurück wie auch ans Meer. Diese lange ehrfurchterregende Geschichte, die vielleicht einst mit Byblos am Meer begann, wo die Ägypter das Zedernholz einschifften, versöhnt mit den libanesischen Gegengesetzen genauso wie die reiche Natur. Diese versöhnlichen Eindrücke werde ich vor allem für meine Erinnerung mitnehmen. (jöb.)