Fitnesstrainer und Schriftsteller – aus der Covid-Not eine Tugend gemacht

(Lesezeit drei Minuten) Nach 40 Jahren „Nur-Autor“ und Journalist muss man etwas Neues beginnen. Ich zum Beispiel bin seit wenigen Wochen staatlich lizenzierter Fitnesstrainer und arbeite in einem Studio in Berlin-Moabits Kirchstraße. Wir üben dort Alt und Jung mit Hilfe von EMS; der elektro-motorischen Stimulation, durch die das Training nur mit dem Körpergewicht oder mit Gewichten bzw. an Geräten mittels mittelschwacher Impulse intensiviert wird. Mit meiner Frau Christiane war ich vor zwei Jahren in diesem Studio Mitglied geworden – dann aber kam Corona, und die Quarantäne verwies uns nachhause. Wir konnten uns im Studio nicht länger trainieren lassen.

Es begannen Monate trüber Nachrichten: Überfüllte Intensivstationen, viele zehntausend „an oder mit Covid“ Verstorbene. Weiter steigende Inzidenzen und die Qual der Politik, die Ernsthaftigkeit dieser Lage ohne viel Alarm aber gleichwohl klar in der Bevölkerung zu verbreiten. Die Politik hatte zugleich vor allem Verbote für den Bürger: Abstand halten, Masken tragen, Händewaschen, Husten in die Armbeuge. In dieser negativen Stimmung ließ sich dann auch noch Bundespräsident Steinmeier mit der Klage vernehmen, er sei, wie viele Bürger, traurig darüber, dass man in der Adventszeit nicht auf dem Weihnachtsmarkt Glühwein trinken könne. Ich habe mich damals über diesen Satz geärgert. Glühwein ist ein erfreuliches Getränk; aber die Steinmeier-Klage konnte die Betrübnis in der Gesellschaft nur noch stärken. Und ist Covid nicht eine zu ernsthafte Bedrohung, um sich über Glühwein auszulassen?

Wäre es in jener Lage nicht besser gewesen, die Politik – und der Präsident vor allen anderen – hätte auch einmal aufbauende Botschaften unters Volk gestreut? Ich hatte mir jedenfalls erhofft, die Solidargemeinschaft wäre dazu aufgerufen worden, sich durch einen erst recht aktiven Lebensstilaktiv gegen Covid zu wehren: Der Präsident hätte sich mit seiner Frau bei einem ausgedehnten Spaziergang durch die Natur zeigen können. Denn jetzt sei es wichtig, nicht wegen der ausgefallenen Weihnachtsmärkte zu trauern, sondern sich wegen Corona erst recht fit zu machen. Ich hätte mir Bundeskanzlerin Merkel und Herrn Minister Altmeier am Multitrainer gewünscht: Nicht klagen, sondern solidarisch gegen dieses Proteinmonster kämpfen. Die Politik hätte den Haus- und Sportärzten – genauso wie den Virologen – Aufmerksamkeit schenken können, als die – wie die Fitnesstrainer und Heilpraktiker – in der Quarantäne dazu rieten, zu Hause nicht nur zu sitzen und zu arbeiten, sondern die Treppen statt der Aufzüge zu nutzen und daheim Sport zu treiben; wozu ja in der Regel ein zwei m² großer Teppichplatz und ein geöffnetes Fenster reichen. Das Internet ist voll von Anregungen zum Training allein mit dem Körpergewicht und bietet dazu noch andere Anregungen: zum Beispiel Rezepte für ein ausgewogenes Essen statt der Chips vor der TV-Kiste. Mehr Wasser trinken als Alkohol.

Doch die Politik nahm all dies nicht auf. Sie hat sich dann nur im Frühling dieses Jahres darüber gewundert, dass die Nation pro Individuum um gut vier kg schwerer geworden ist. Wie stark sich diese Fettleibigkeit der Deutschen durch Folgeerkrankungen bei den Krankenkassen niederschlagen wird, wieviel die Solidargemeinschaft für Diabetes II, Herzinfarkt oder Problemen mit den überlasteten Gelenken mitzahlen wird, wird schon ausgerechnet. Es geht dabei um Milliarden-Beträge – allein als Folge der stumpfen Selbstvernachlässigung einer Nation.

Christiane und ich jedenfalls gingen während der Quarantäne einen anderen Weg. Angeregt durch zwei Personal Trainer in unserem Freundeskreis, den erfahrenen Tim Bertko hier in der Spener-Straße und den Studenten Slane Walter – holten wir uns Sportgeräte in die Wohnung und machten aus dem Wohnzimmer ein Gym. Meine Frau, von jeher die sportlichere von uns, setzte feste Zeiten durch, und zweimal in der Woche gab es nun ein hartes Gewichte-Training, mal allein, mal mit Trainer. Cardio auf dem Rad – draußen oder drinnen – gehörten zu unserem Fitness-Programm gegen Corona. Während ich meine Bücher nirgends mehr vorstellen konnte (zB. Werner v. Kieckebusch – Ich traue dem Frieden nicht: Leben zwischen zwei Diktaturen. Tagebücher 1945-1946, Herder 2020) und keinen Vortrag zur Ökumene (Ein Kelch für zwei: Zur ökumenischen Debatte um die Kommunion bei konfessionsverbindenden Paaren, Grünewald 2019) mehr halten konnte, vertiefte ich mich in das Training und lernte Muskelgruppen, Ernährungshilfen und Trainingspläne kennen. Anstatt weiter über meinem fast fertigen Buch „Jerusalem und Rom – weder heilig noch ewig“ zu grübeln, das kein Verlag drucken möchte, lernte ich, wie man sich mit dem Gewichte-Training gegen Muskelschwund und Knochenverfall im Alter wehren kann.

Folgerichtig landete ich bei der staatlich geprüften OTL-Akademie für die „Online Trainer Lizenz“ und legte nun dort eine erste Prüfung ab, zunächst im Internet und dann bei zwei Präsenztagen. Das war keine leichte Kost, und die Prüfung hatte ihren Namen verdient; aber mit dem Ergebnis konnte ich bei der Öffnung unseres Studios meine Art der Präsenz austauschen: Ich werde nicht mehr trainiert, sondern darf unsere Kunden fitter machen. Nicht wenige dieser Studio-Mitglieder stellten sich zum Wiederbeginn mit der Feststellung vor, sie hätten wegen Corona an Gewicht zugelegt und Gelenkigkeit verloren. Unglückliche Gesichter waren darunter, die aber nach wenigen Wochen schon wieder zu strahlen beginnen. Rückenschmerzen und gebeugte Schultern wegen der ständigen Schreibtischhaltung lassen sich in der Regel nämlich überwinden, wenn man sich selber überwindet und beständig an sich arbeitet; als Trainer oder als Trainingskunde, als jüngerer oder als älterer Mensch. Es tut gut, wenn eigene Bücher gelesen werden und man bei einem Vortrag glänzen kann. Aber es ist auch eine große Freude, wenn mir – wie gestern – ein Mitglied im Studio nach dem Training sagt: „Danke Dir; das tat gut, der dumpfe Schmerz in meinem unteren Rücken scheint sich gelöst zu haben. Ich werde zu Hause weiter an mir arbeiten.“ (jöb.)

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