Über Berlins 20 beste Konditoreien

(Lesezeit drei Minuten) Berlin hat ungezählte Cafés. Wohl niemand kann sie alle kennen. Ich sitze fast jeden Morgen bei „moa café & bar“ an der Ecke Alt Moabit und Kirchstraße nah zu unserer Wohnung. Es gibt für mich kaum einen sympathischeren Ort, um nach der mühevoll ersten Arbeit einen guten Cappuccino zum Lachsfrühstück, Spiegelei oder Mohnkuchen zu genießen. Der deutsch-iranische Hausherr, schnell und lässig, umsorgt mit seinen beiden Geschwistern und dem Team die Gäste: Das sind vor allem die Nachbarn in unserem Viertel sowie Mandanten, Rechtsanwälte und Richter von den nahen Gerichten. Hier beginne ich mit dem Vorwort zu diesem Buch über „Kuchenoasen“. Eine Konditorei ist „moa“ allerdings nicht; denn es empfängt nicht das Ambiente eines Kaffeehauses, sondern eben einer Café-Bar. Zwar backt das Team in der Regel zwei oder drei Topfkuchen; Torten aber kommen von einer Bäckerei in der Nachbarschaft, und so muss „moa“ zwar als meine persönliche Lieblingsbar erwähnt werden, aber sie kann keinen eigenen Beitrag mit Bildern erhalten.

Andererseits gibt es in Berlin nicht so viele Konditoreien oder Patisserien, die für ihre eigenen Gäste Torten und Kuchen backen. Im Herzen dieser Millionenstadt sind es vielleicht nicht mehr als zwei Dutzend; und so berichten wir auch über gute Cafés. Mithin sollen Konditoreien und Kaffeehäuser in einer unvollständigen, überschaubaren und gänzlich subjektiven Auswahl unser Thema sein. Wir haben nämlich nur die Plätze beschrieben, die uns besonders gut gefallen. Die Qualität der Kuchen war uns dabei wichtig, der Service, das Ambiente oder aber die Originalität der Örtlichkeit. Ansprechend fanden wir Plätze, an denen es kein WLAN gibt, wohl aber Zeitungen vom Tage und eine Kaffeehaus-Stimmung von Gelassenheit und Muße, die die Einladung zum Gespräch mit dem unbekannt Bekannten, den man jeden Tag dort sieht, einschließt: „Haben Sie schon den Leitartikel hier gelesen? Lohnt sich!“

Wir Autoren, Arthur Martini und ich, kennen uns seit Studententagen. Aber erst nach unseren Karrieren irgendwo in der Welt, beschlossen wir, uns regelmäßig in jeweils einer anderen Konditorei für eine Kuchen-Stunde zu treffen. Wir hätten anfangs nie gedacht, dass daraus ein Buch werden würde. Die Idee zur „Café-KulTour“ trug erst Verleger Roman Pliske an uns heran. Mein Freund Arthur betritt jedes Café mit den Augen des französischen Connaisseurs, hat er doch ein Gutteil seines Berufslebens – und gerne – in frankophoner Umwelt verbracht: In seiner Erinnerung tragen livrierte Garçons elegante petit fours in schicken Pariser oder Brüsseler Cafés zu den Genießern. Ich muss nach zehn Jahren in Rom mit der Spree-Sperrigkeit fertig werden, und habe von Italien den geschickt hantierenden barista an der Café-Maschine vor Augen. Er kennt seine Kunden und weiß ohne Ansage, ob ein Cappuccino ganz heiß sein soll oder von einer Spur von Zimt auf der schiuma, dem Schaum verwöhnt.

Unsere regelmäßigen Ausflüge in die Konditoreien waren mithin so etwas wie eine Flucht aus dem schnoddrigen Berliner Alltag in den besonderen Genuss. Von vornherein aber machten wir uns Notizen über die Qualität des Kaffees oder grässlich dicke Tortenböden. Mit dem Auftrag zu diesem Buch wurde der Spaß zum Ernst: Wir mussten die Stadt nach geeigneten Konditoreien absuchen und immer neue Plätze ausprobieren. Dieser Spaß geriet fast zur Arbeit; auch wenn wir noch immer die Süße des Lebens in den Konditoreien genießen und nun unsere Star-Plätze erobert haben, die uns weiter sehen werden. Der junge Photograph Henning Kreitel hat dabei mit seinen lyrischen Augen für die Café-Optik gesorgt, weil er bei unseren Konditoreien durch seine Photographien das jeweils ästhetisch Besondere herauszuschälen versteht.

Wir wussten es – wegen uns selber – schon zuvor. Aber nach so vielen Kaffeehaus-Besuchen können wir nachweisen, dass Konditoreien längst nicht mehr nur Nischen für Damenkränzchen sind. Dann wären diese Orte Geschichte, so wie das so berühmte Kranzler am Ku`Damm oder auch das Romanische Café der Künstler an der Gedächtniskirche. Konditoreien sind längst auch „Kuchen-Oasen“ für junge Leute, für Alleinstehende sowie Eltern mit ihrer Brut geworden. Der moderne Lebensstil hat eine neue Art Konditorei hervorgebracht: Kuchen sind heute Bio und Vegan, und es gibt eben nicht mehr nur das Wiener Café mit livrierten Obern, die Frauen-Confiserie, wo Mädels im Dutt das Kännchen Kaffee servieren, sondern auch die Hipp-Kondis am Prenzlauerberg oder Mitte. Dort jonglieren Studenten exzellente Torten zu den Gästen. Schon am Tresen werden die Teeblätter im Sieb in kochendes Wasser gehängt, und der Gast erhält eine „Tee-Uhr“ für die etwa fünf Minuten Zieh-Zeit. Danach kann der Tee munden!

Es macht sich ein neues Qualitätsbewusstsein breit, und statt der platten Kaffeeklatsch-Bitte von Udo-Jürgens „..aber bitte mit Sahne“, wird heute von den Zutaten wie von Edelsteinen gesprochen, die von Milch und Eiern bis zum Obst von Biohöfen in Brandenburg kommen; und statt mit dem Mehl der Väter wird die Masse gerne nur noch mit edlen Mandeln und Nüssen gebacken. Vielleicht leben manche noch in der Vorstellung, eine Tasse Kaffee müsse ihren vertretbaren Preis und ein Kuchen nicht teurer als zwei Euro sein – aber Preise sind beim Genießer weniger das Thema als der Kaffeehaus-Spirit. Es geht nicht um Konsum, sondern um Genuss. Torte, Tee und die Ausgestaltung des Cafés sollten eine Harmonie eingehen, bei der Augen, Nase und Ohren gleichermaßen Frieden und Entspannung finden können.

Kaffeehäuser sind mithin Orte der Entschleunigung; Plätze für ein gutes Gespräch oder das Studium eines Buches. WLAN braucht das gute Kaffeehaus nicht, wohl aber sollten dort eben die Tageszeitungen ausliegen. Einsiedler vor ihren Note-Books mit dem längst ausgetrunken Espresso in der Tasse gehören nicht in eine Konditorei, bringen sie doch den Alltag in die eigentlich alltagsfreie Zone; sie sind quasi egoistische Spielverderber.

Wir trafen einen süddeutschen Konditor, der als Kind von der Atmosphäre in seinem heimatlichen Café so beeindruckt war, dass er später in die Konditorlehre ging. Als Kind dürften ihm Kaffee und Kuchenqualität weniger wichtig gewesen sein als der Umstand, dass er an diesem ganz speziellen Ort – dem Kaffeehaus am Platze – besonders umsorgt wurde. „So ein Besuch war immer etwas außer der Welt. Der Eisbecher mit Sahne war mir dabei nicht so wichtig wie das Hinsetzen an kleinen Tischen, der Geruch, die Stimmung und eine gewisse Feierlichkeit“, erinnert sich dieser Konditor, der seinen Beruf für den „schönsten auf Erden“ hält. Jedes Kaffeehaus sollte ein quasi kindliches Geheimnis bergen, nach dem sich der Gast sehnt, wenn er von der Straße ins Foyer tritt: zunächst der Geruch von Kaffee, dann der Blick auf die volle und farbenfrohe Tortentheke und schließlich die Einladung: „Kommen Sie! Dort ist der Tisch für Sie frei.

In unserem Buch werden die ausgewählten Konditoreien nicht wie in einem Touristenführer vorgestellt; auch wenn wir jedem Haus einen Fakten-Kasten anschließen. Vielmehr versuchen wir, den Geist feuilletonistisch einzufangen. Der Flaneur setzt sich und genießt. Was man in solchen Plätzen sehen und erleben kann, erzählen wir völlig subjektiv. In allen Konditoreien findet sich die zunächst beliebige Tortentheke hinter dem Spuckglas; und doch unterscheiden sich diese Plätze und eben diese Torten alle auch. Uns war wichtig zu sehen, wie die Kaffeehäuser ihrem Anspruch gerecht werden, den Alltag der Menschen zu versüßen und eine Oase der Muße zu sein. Bestimmte Details schaffen dann ein Ganzes: vielleicht ein ausgesucht schöner Blumenschmuck; besondere Gemälde an der Wand oder im Nebenraum ein Bücher-Antiquariat, in dem auch Kinder schmökern können. Weg vom Alltag draußen und rein in eine Stunde der Verwöhnung. (jöb)

aus: Jörg Bremer, Henning Kreitel, Arthur-Iren Martini, Kuchenoasen – Berliner Café-KulTour, mitteldeutscher verlag, Halle, 2021, EU 14,-