Wie Potsdams Bürger unter der “Konferenz von Potsdam” litten

„Ich traue dem Frieden nicht“

Werner von Kieckebusch lebt seit 1933 in der Potsdamer Jägerallee 40. Er kennt sich aus in der Stadt und ist auch mehrfach im Schloss Cecilienhof gewesen, wo vom 17. Juli bis zum 2. August die Friedenskonferenz der drei großen Sieger tagt. Kieckebusch kennt Kronprinz und die Kronprinzessin, die dort gewohnt hatten und mit denen er nun Briefe wechselt. Aufmerksam verfolgt Kieckebusch schon vor dem Gipfel die Bewegung der Siegermächte in der Stadt und möchte dann erfahren, was Stalin, der Herr über Potsdam, sowie Truman und Churchill besprechen. Aber es gibt keine Zeitungen, Radios sind konfisziert. Die Bürger der Stadt müssen flaggen und werden mit (falschen) Gerüchten versorgt und hoffen so auch weiter darauf, dass die Russen abziehen. Einige Ausschnitte zu jenen Sommertagen aus seinem Tagebuch:

POTSDAM 6. 6. Wie schon gestern, verließen auch heute viele 1000 Russen die Stadt, da die interalliierte Kommission jetzt hier einziehen wird. Allein meine Gärtnerei Grötzner soll 1000 m (!!) Girlanden zum Einzug liefern, hat aber weder Zweige, Draht noch Strippe und gab den Auftrag weiter. Die Gärtnerei Freyberg will 500 m liefern. Nachts rollten dauernd russische Autos durch die Jägerallee.

Wie wir heute hörten, wurde auch Cecilienhof von den Russen (GPU) geräumt und als Saustall zurückgelassen. Die schönen Butzenscheiben in der großen Halle haben sie herausgeschlagen, um mehr »Licht« zu haben! Aus den schönsten echten Teppichen schnitten sie Stücke heraus, die sie dann vor den Türen als Fußmatten auslegten.

 

8.6. Die Stadt steht jetzt im Zeichen des befohlenen Flaggenhissens! An jedem Hause MÜSSEN 4 Flaggen von Russland, Amerika, England u. Frankreich hängen, wenn die Kommission jetzt kommt. (Ehefrau) Anneli hat aus unserer lieben alten schwarz-weiß-roten Fahne eine blau-weiß-rote von Frankreich gemacht, die am bequemsten war. (Nachbar) Herr v. Kottwitz hat die Fahne der Vereinigten Staaten, (Nachbarin) Frau v. Hohberg die von England zusammengenäht. Über die Sowjetfahne sind sich die Gelehrten noch nicht einig, hängen MUSS sie! In der 2. Etage von No. 38 hängt sie bereits!

 

11.6. Unsere Fahnen mussten heute wieder eingezogen werden!! Es soll wieder bekannt gegeben werden, wann sie wieder zu hissen sind.

 

12.6. Die Russen montieren jetzt die S-Bahn nach Berlin ab, die Gleise werden nach Osten geschafft. Wie soll man da nach Charlottenburg, Grunewald, Zoo etc. kommen? Zur Abwechslung muss nun doch wieder geflaggt werden.

 

18.6. Der russ. Kommandant Werin äußerte sich Bekannten gegenüber, wie würdelos die Potsdamer doch wären, dass sie an allen Häusern die vier Flaggen der alliierten Mächte gehisst hätten! Der Befehl hierzu ging von dem »bürgerlich-kommunistischen« Oberbürgermeister Dr. Zahn aus.

 

29.6. Nachts fielen um 1 Uhr wieder 18 Schuss innerhalb von 3 Minuten gegenüber in der Kaiser-Wilhelm-Straße, man hörte wiederholt »Hallo« u. erregte russische Stimmen. … Ich sprach kurz den (Freund) Baron Schacky, an dem gerade 60 Lastwagen mit englischen Truppen vorbeigefahren waren, Garde-du-Corps-Kaserne. 160 Wagen mit Amerikanern sollen nach Babelsberg verlegt worden sein.

Hoffentlich verduften nun die Russen. Vor einigen Tagen wurde das Schloss Sanssouci von ihnen völlig ausgeräumt. Ganz eigenartig ist, dass jeden Morgen um 6 Uhr das alte deutsche Wecken in der Jägerkaserne erklingt. Die Russen fanden dort unsere Hörner vor und blasen nun unsere Signale. Sie selbst kennen kein Wecksignal.

 

4.7. Zwei uns bekannte Damen, die mit vielen anderen Weiblichkeiten Arbeitsdienst auf den Straßen hatten und von Russen bewacht wurden, erzählten, dass eine Autokolonne mit Engländern vorbeigekommen sei. Ein Offizier erkundigte sich nach ihrem Alter, ihrem Frühstück (natürlich meist trockenes Brot), Länge der Arbeitszeit, Entgelt etc. Als er hörte, dass die Arbeit nicht bezahlt würde, schickte der Offizier die ganze Kolonne nach Hause, und die 4 russ. Wachsoldaten blieben mit langen Gesichtern zurück!

Engländer sollen auch in eine Schule gekommen sein, wo sie sich die Frühstücksstullen der Kinder zeigen ließen, natürlich auch meist trockenes Brot. Die Engländer waren darüber entsetzt und sagten, bald kämen bessere Zeiten für die Deutschen, wenn die Russen erst fort wären.

 

22.7. Die Dreierkonferenz soll vertagt worden sein, da man sich nicht einigen konnte! Potsdam soll in einen Korridor fallen, den Amerika als Zugang vom Westen haben will.

 

27.7. Der 57. Geburtstag von Prinz Oskar, dem ich seit einer langen Reihe von Jahren nicht mehr persönlich gratulieren kann. Er war beim Einbruch der Russen in Blankenburg a. Harz bei der Herzogin von Braunschweig! Wo er jetzt ist, weiß hier niemand. Sein Haus hier ist ausgeplündert und ein Teil seiner Möbel wurde nach Cecilienhof geschafft, wo Josef Stalin jetzt wohnt.

Einem »On dit« zufolge soll Churchill nach England zurückgerufen sein, weswegen die Beratungen hier vertagt sind. Dabei geht die strenge Bewachung trotzdem weiter. Auf der Nauener Straße stehen auf alle 30 bis 40 Schritt russ. Doppelposten mit aufgepflanzten Bajonetten, die unvermeidliche Zigarette im Mund!

Eben kommt die Nachricht (angeblich Radio!), dass Churchill in England nicht wiedergewählt wurde und nun die Arbeiterpartei am Ruder sei. Auf die Friedensverhandlungen, d. h. deren Diktat wird das kaum Einfluss haben.

  1. bekam von einem russ. Soldaten 1 ½ Pfund Brot geschenkt als Dank dafür, dass sie ihm einen Furunkel am Hals im Hausflur verband! Da sie erst Verbandzeug aus der Apotheke holen musste, das 1.50 M kostete, gab der Russe ihr großzügig 5,- M!!

 

30.7. Sehr ärgerlich, dass es seit längerem die »Tägliche Rundschau« nicht mehr gibt, die per Flugzeug von Berlin herbefördert wurde. Während der alliierten Tagungen darf hier kein Flugzeug landen, so dass die Zeitung nicht mehr kommt. Und Potsdamer Zeitungen können nicht gedruckt werden, weil die Russen sämtliche Setz- und Druckmaschinen abmontiert und abtransportiert haben. Wir selbst gaben ihnen für derartige Verfahren das beste Beispiel! Wie du mir, so ich dir!

 

  1. 8. Ein großer Teil der Russen scheint nun wirklich abzurücken, nachdem wir jetzt in die amerikanische Zone kommen »sollen«. Die ganze Nacht über war ein toller Autofahrbetrieb in der Jägerallee und am Tage sah man überall lange Kolonnen auf den Straßen stehen. Aus der Frick-Schule wurden wieder Radioapparate verladen, im Reichsbahnausbesserungswerk laufend weiter Maschinen, Hebewerke etc. abmontiert u. verladen.

 

5.8. In der gestrigen No. 2 von »Der Berliner« steht Folgendes von Interesse: Leben deutscher Ex-Führer in Gefangenschaft. Alle Vorsichtsmaßregeln gegen Selbstmord sind in Mondorf-les-Bains (Luxemburg) ergriffen worden, wo über 50 Persönlichkeiten der ehemaligen deutschen Führung gefangen gehalten werden u. auf ihre Aburteilung warten. Unter den Gefangenen befinden sich Dönitz, Göring, Jodl, Keitel, Kesselring, Blaskowitz, Frick, Seyß-Inquart, Ritter v. Epp, Daluege, Alfred Rosenberg, Darre, Walter Funk, Ernst Bohle, Streicher, Ley, v. Papen und der frühere ungarische Reichsverweser Horthy.

Jeder Gefangene hat ein Feldbett, eine harte Matratze u. einen Holzstuhl. In den Zimmern gibt es Waschbecken mit fließendem kaltem Wasser, am Sonnabend dürfen die Gefangenen ein warmes Bad nehmen. Kriegsgefangene deutsche Soldaten fegen jeden Tag die Zimmer aus u. reinigen die Waschbecken einmal in der Woche. Sie haben keine Erlaubnis, den 52 Hauptgefangenen irgendwelche anderen Handreichungen zu geben. Gekocht wird von ehemaligen deutschen Wehrmachtköchen…….

 

8.8. Nachdem die Konferenz beendet ist, konnten jetzt Exz. v. Dommes und unser Freund Bade aus Berlin wieder zurückkommen. Letzterer fand seine Wohnung, die von 62 Russen bewohnt worden war, im unglaublichsten Zustande wieder vor. Es war nicht zu ermitteln, ob die Russen oder unmittelbar nach deren Abzug andere freundliche Menschen so schlimm in allen Zimmern und Kellern geplündert hatten…. (W.v. K.)

“Ich traue dem Fruieden nicht”- Leben zwischen zwei Diktaturen – Tagebuch 1945 – 1946; von Werner von Kieckebusch, herausgegeben von Jörg Bremer, Herder-Verlag, Freiburg, 2020)