Wird Italien nun von der EU befreit?

(Lesezeit 6 Minuten) Das Ergebnis der italienischen Nationalwahlen ist noch dramatischer ausgefallen als befürchtet. Hatte man noch gehofft, dass ein bürgerliches Bündnis möglich sein könnte, so hat sich das als Traum erwiesen. Die populistischen Kräfte sind seit diesem Montag so stark, dass keine Regierung ohne die bisher unberechenbare „Bewegung der fünf Sterne“ und die nationalistische EU-feindliche Lega Nord möglich ist. Zwei Drittel der Wähler stimmten aus Protest oder anderen Gründen gegen jene bürgerlichen Parteien, die Italien in den letzten Jahrzehnten regierten. Und während man noch vor Monaten sagen konnte, die „Fünf Sterne“ und die Lega passten als Partner nicht zusammen; so sieht das heute ganz anders aus: „Sterne-Chef“ Luigi Di Maio und Lega-Führer Matteo Salvini haben sich angenähert. Di Maio rückte immer weiter nach rechts und nimmt zum Beispiel beim Kampf gegen Flüchtlinge eine ähnliche Position ein wie Salvini. Der 31 Jahre junge bisherige Präsident der Abgeordnetenkammer Di Maio und der 44 Jahre alte Europa-Abgeordnete und zugleich EU- Feind sind womöglich nach Ostern die neuen Chefs des EU- und NATO- Landes Italien, das ohnedies schon von Krisen gebeutelt ist, und dass nun von Berlin, Paris und Brüssel „befreit werden“ soll, wie es Salvini formuliert.
Auf der anderen Seite gibt es neben der gesamten italienischen Nation vor allem drei Verlierer an der politischen Spitze: Da ist zum einen der frühere Staatschef Giorgio Napolitano. Der hatte nach den Wahlen 2013, die nur einen knappen Sieg der Sozialdemokraten (PD) unter dem damaligen Parteichef Pier Luigi Bersani erbracht hatten, eine große Koalition zwischen dem PD Politiker Enrico Letta und der Bewegung des doch 2011 schmählich gescheiterten Ex-Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi durchgesetzt. Nicht nur zerbrach dies Bündnis bald, nachdem Berlusconi rechtskräftig wegen Steuervergehen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Napolitano ließ 2014 auch den stillschweigenden Wechsel von Letta zu Matteo Renzi zu. Napolitano wollte auf alle Fälle Neuwahlen verhindern. Im Blick zurück war das ein Fehler. Denn dieser von vielen Wählern als Kungelei ausgelegte Regierungswechsel stärkte die ohnedies schon vordringenden Populisten. Im Blick zurück ist man schlauer, aber PD-Chef Renzi, der bei den Europawahlen 2014 etwa 40 Prozent der Stimmen bekam hätte damals auch bei nationalen Wahlen gewonnen.
Heute ist Renzi der zweite Verlierer, „brutal abgeschmiert“, heißt es. Schneller womöglich als jeder andere Politiker wurde aus diesem „Rottamattore“, der die alten Eliten „verschrotten“ wollte, selbst ein verschrotteter Mann der verachteten Elite. Der gerade mal 43 Jahre alte frühere Bürgermeister von Florenz beging aber auch so ziemlich jeden Fehler, den ein Politiker begehen kann. Sein sich immer wieder selbst überschätzender, rüde Umgang mit den PD-Eliten schuf ihm Feinde fürs Leben. Sein Rückzug vom Amt des Ministerpräsidenten nach dem verlorenen Referendum über die Senatsreform 2016 wurde ihm als persönliche Eitelkeit ausgelegt. Schließlich schaffte es Renzi nicht nur nicht, seine Partei langsam wieder zu versöhnen. Für die jüngsten Wahlen setzte er auf den Listen brutal seine eigenen Favoriten durch, und machte es damit tatsächlich nicht anders als die von ihm geschmähten Vorgänger. Die politische Karriere von Renzi dürfte fürs erste im Senat enden. Mit weniger als 20 Prozent der Stimmen ist kein Staat zu machen. Offenbar verachten die Wähler Renzi so stark, dass sie vollkommen übersahen, wie gut das PD-Kabinett unter Paolo Gentiloni und Innenminister Marco Minniti arbeitet.
Der dritte Verlierer heißt Silvio Berlusconi. Dieser 81 Jahre alte Medienunternehmer wollte es noch einmal wissen, und tatsächlich belegt sein Bündnis mit der Lega Nord den ersten Platz. Doch anders als erhofft, wurde Salvinis Lega stärker als Berlusconis Forza Italia (FI). Berlusconi wollte den Chef des EU-Parlaments Antonio Tajani als neuen italienischen Ministerpräsidenten. Jetzt aber muss er sich dem EU-Feind Salvini beugen. Berlusconi ist nicht nur einer der drei Verlierer. Er trägt auch die Hauptverantwortung dafür, dass die Lega so stark werden konnte. Er machte Salvini hoffähig und begriff nicht, dass der Wähler, wenn er schon nach rechts tendiert, lieber das Original wählt als den weiß gespülten Kompromiss. Berlusconi kommt jetzt besondere Verantwortung zu. Auch wenn er selber gar nicht regieren darf, weil er wegen seiner Verurteilung noch zwei Jahre lang ohne das passive Wahlrecht ist, so muss er jetzt versuchen, Italien vor dem Schlimmsten zu bewahren.
Bei den nun beginnenden Konsultationen von Staatspräsident Sergio Mattarella dürfte darum nach Di Maio und Salvini dieser Berlusconi ein wichtiger Gesprächspartner werden. Auf diesen Mattarella richten sich nun alle Augen. Der 76 Jahre alte Sizilianer steht für das unaufgeregte, problemorientiert arbeitende Italien. Er will das Land vor allem verlässlich halten. Dabei geht es nicht nur um die Außen- und Innenpolitik – sondern auch um die Sicherheitsdienste in einer Zeit, in der auch Italien von Cyberangriffen getroffen wird. Lega-Chef Salvini will nämlich nicht nur Italien von der EU befreien; er hat auch längst schon seinen Pakt mit Russlands Putin geschlossen.