(4 Leseminuten) ROM. Mit der Stimmung in der Kurie in Rom ist es ähnlich wie mit den Reaktionen der Erwachsenen auf die zornige Rede der Greta Thunberg bei den Vereinten Nationen vergangene Woche. Alles, was Papst Franziskus anstößt, nervt zunächst einmal. Dabei wissen die meisten Prälaten und Kardinäle – wie wohl auch unendlich viele Geistliche überall auf Erden, dass Papst Franziskus „eigentlich“ recht hat. Freilich macht er es seinen Feinden leicht. Der Papst ist kein Theologe aus Deutschland, er verliert sich vielmehr gerne in schwammigen Formulierungen und südamerikanischen Wendungen. Zugleich aber zeichnet den Papst etwas aus, was vielen seiner Kritiker fehlt: Franziskus ist fromm; er lebt in prophetischer Glaubensgewissheit.
Papa Francesco hat natürlich Recht mit der Aufforderung zum synodalen Weg der Weltkirche. Aber das dürfte der Geistlichkeit viel an Macht und Privilegien nehmen, und welcher Habitträger will das schon, wo er doch bereits das Opfer des Zölibats leistet? Und so wird zum Beispiel bei seinen Botschaften aus Rom das rausgelesen, was man an Kritik am „deutschen Sonderweg“ hineininterpretieren könnte. Er wird absichtsvoll missverstanden.
Der Papst hat gewiss auch Recht mit seiner Aufforderung, allen Flüchtlingen und Armen zu helfen. Das steht schließlich schon im Evangelium. Aber das macht die Kirche in diesen Zeiten populistischer Fremdenfeindlichkeit nicht beliebter sondern stößt allemal in Ländern wie Polen oder USA ab.
Der Papst hat Recht, wenn er endlich – nach viel zu langem Zögern und mit schlechtem Gewissen – unter der Devise seines Vorgängers Benedikt „Null Toleranz“ gegen den Missbrauch von Schutzbefohlenen vorgehen lässt. Aber allemal in Italien, wo man kürzlich noch hören konnte, dass es in dort natürlich keinen Missbrauch gebe, lässt dies Vorgehen Talarmännchen in Angstschweiß baden.
Und dann auch noch diese ewig ätzende Aufforderung von Papst Franziskus, Geistliche sollten wie ihre Schafe riechen und gar mit ihnen auf der Weide bleiben!! Das geht vielen wirklich zu weit: Immer noch leben Priester lieber die „Dignität der Theologie“ aus, verbergen sich gerne in ihrer aus wenig Bibel und viel Tradition gebauten Schutzburg vor dem Kirchenvolk und seiner vermeintlichen Verstocktheit und meiden die Weide.
Franziskus stößt – wie widerlich! – seine Kirche darauf, das tief greifende Reformen nötig sind, damit Kirche überhaupt noch ihren Sinn erfüllen, Menschen zu Gott führen und damit Jesu Christo Auftrag erfüllen kann. Diesen Auftrag lebt der weiße Mann im Vatikan, aber anstatt sich dort mit den meisten in Einheit zu fühlen, muss er sich wie unter Wölfen fühlen, wie ein Vatikankenner sagt.
Manchen verstockten Kirchenfürsten – diese Leute sehen sich tatsächlich wie Fürsten über dem Kirchenvolk – ist dieser Papst so unbequem und dabei doch zugleich so schlecht zu fassen, dass sie auf ihn mit der alles schlagenden Häresie-Keule lauern. Das an sich ist schon Häresie gegen den Papst; aber wie auch immer. Zum Ärger seiner Kritiker prallt die Kritik an ihm ab. Nicht dass er die Gegenargumente überhören würde. Dem Vernehmen nach hört er sie und überdenkt sie auch, und dann wird ein Kritiker im Kardinalsrang in seinen Augen milde als „Kind“ bezeichnet.
Neulich beim Rückflug von Afrika sprach der Papst selber davon, dass er Gegner habe, die mit einem Schisma drohten. Dazu wies er mit Blick auf die Kirchengeschichte daraufhin, dass Spaltungen meist von elitären Kräften ausgegangen seien, denen das Kirchenvolk egal ist.
Für Papst Franziskus scheint mithin die Einheit der Kirche wichtiger zu sein als die Einheit des Klerus. Er ist bei den gläubigen Massen beliebt. Auch das gilt als unerhört in diesem Männerverein und kann nur dazu führen, dass Zorneskämme eitler Hähne glühen.
Das Schlimmste an diesem Papst aber ist, dass er jeden Morgen nach knapp sieben Stunden Schlaf wie neu geboren erwacht; dass er nach jedem Gespräch mit Menschen, die in sozialen Diensten stehen wie er oder mit Kranken und Armen, denen geholfen werden muss, fröhlicher ist als nach einem Treffen mit Kardinälen oder Bischöfen. Er lebt mit Gott und mit den Menschen. Wenn er diese Laien dann auffordert: „Betet für mich“ oder „dafür müssen wir beten“, dann erreicht diese Aufforderung Probleme dieser Kirche, bei denen der Papst unklar bleibt und es seinen Kritikern so leicht macht. Ob es – als Beispiel – die ökumenische Gastfreundschaft von evangelischen Christen am katholischen Altar betrifft oder die Ausdehnung sakramentaler Befugnisse über Priester hinaus – hier hat der Papst Baustellen aufgerissen, die er längst wieder mit einem endgültigen „Betet zum Herren und geht voran“ hätte schließen können.
Aber dieser Mann ist ein Jesuit aus Südamerika. Er hat die heimatliche Kraft, langanhaltende Konflikte auszuhalten. Er ist ein jesuitischer Analytiker, der gut unterscheiden und bewerten kann. Schließlich hat Franziskus etwas, was offenbar vielen seiner Kritiker fehlt. Papst Franziskus ist ein prophetischer Pastor, voll des frommen Gottvertrauens. Er sieht sich in den Händen seines Herren und unverletzlich durch die Kritik seiner geistlichen Mitbrüder. Er ist – und bei jeder Begegnung merkt man es von neuem – ein begnadeter Evangelist in der Erneuerung aus Erinnerung an 2000 Jahre Kirchengeschichte; und das ist wirklich das Allerletzte, was Kirchenleute vertragen können, deren Traditionsverständnis gerade einmal ins 19. Jahrhundert zurückreicht und die sonst von den Vätern nur übernehmen, was ihnen passt. Die Propheten der Bibel waren unbequem, der heilige Franz von Assisi war unbequem; die kleine Greta ist unbequem und dieser Papst ist es auch; – gut so.
(jöb.)