Der 20. Juli 1944 erinnert uns daran, dass Freiheit kostet – für die Ukraine weniger heizen und kürzer duschen

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Die Erinnerung an den 20. Juli 1944 erscheint in diesem Jahr noch wichtiger als in vielen Jahrzehnten zuvor. Denn derzeit wirkt dies Datum der Vergangenheit wie eine Mahnung, heute dem ukrainischen Volk bei seinem Widerstandskampf gegen Putin mit aller Kraft und mit den besten Waffen zu helfen. Bedrückender Weise gibt es aber deutsche und europäische Stimmen, die bei der Unterstützung der Ukraine zaudern. Ihre Haltung ist klammheimliche Hilfe für den Diktator im Kreml. Sie missachtet den Freiheitswillen einer ganzen Nation und ist damit nicht nur unmoralisch und undemokratisch; sie zieht auch noch den Krieg in die Länge, so wie einst durch das Scheitern der Hitler-Attentäter der II. Weltkrieg noch grausamer und blutiger wurde. Die Verzögerer bei einer Unterstützung der Ukraine haben mithin keine Lehren aus dem 20. Juli gezogen.

Tatsächlich fällt ein direktes Licht vom 20. Juli vor 78 Jahren auf den Krieg in der Ukraine. Europa sähe anders aus, wäre Hitler in der Wolfsschanze getötet und das Naziregime gestürzt worden. Die Attentäter wollten das Recht wieder herstellen. Stattdessen konnte Stalin siegen und Russland seine Hegemonie in Osteuropa halten. Heute bedroht sein Apologet Putin die baltischen Staaten und die auf dem Balkan, hält Weißrussland unter seinem Diktat und versucht mit einem brutalen Krieg gegen die Zivilbevölkerung die Ukraine von der Landkarte zu fegen. Mit eindrucksvollen Reden wurde jetzt an der Hinrichtungsstelle der Widerständler gegen Hitler in Berlin-Plötzensee die Wirkung des 20. Juli für heute besprochen. Es wurden der Mut und die Zivilcourage gewürdigt, die nicht nur die Attentäter, sondern viele hundert Menschen einst dazu bewegt hatten, im Großen wie im Kleinen, der unmenschlichen Nazidiktatur zu widerstehen; als Beispiele für heute.

Das Wirken dieses Widerstands gegen jene Diktatur sollte heute die Politik und Gesellschaft auch daran erinnern, dass jeder Freiheitskampf seinen Preis hat. In Osteuropa kann er das Leben kosten. An jedem Tag sterben mehr als einhundert Ukrainer im blutigen Kampf, als Soldaten oder als Zivilisten. Viele tausend sitzen in Russland und Weißrussland als Kritiker der russischen „Spezialoperation“ in der Ukraine in Haft. Mit diesen Menschen sollten wir solidarisch sein, auch wenn dieser Freiheitskampf dort auch uns hier etwas kosten wird: wenn auch vielleicht nur (!) eine kältere Wohnung im kommenden Winter.

Besonders eindrucksvoll sprach die weißrussische Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja, die eben laut Wirtschaftsminister Robert Habeck sogar bereit ist, „ihr eigenes Leben zu riskieren, um die Herrschaft des Unrechts und der Unmenschlichkeit zu beenden oder ihr zumindest etwas entgegenzusetzen“. Die Trägerin des Aachener Karlspreises dankte in ihrer Rede nicht nur für deutsche Hilfe. Sie erinnerte nicht nur daran, dass eine friedliche Zukunft Weißrusslands eng mit der in der Ukraine zusammenhängt, sie forderte vor allem, dass sich Deutschland kraftvoller im Ukraine-Konflikt engagieren müsse. Man dürfe die Fehler, die bei Hitler gemacht wurden, nicht wiederholen und Putin keine territorialen Zugeständnisse zu Zwecken des vermeintlichen Friedenserhalts machen. „Diktaturen gedeihen, wenn Demokratien nicht aufpassen“, sagte die belarussische Bürgerrechtlerin. Genau das sei aber im Ukraine-Krieg geschehen. Es habe Monate „gedauert, bis die europäischen Demokratien Zähne zeigten.“

Diesen Aufruf sollten die Politiker auch in Berlin beherzigen, denen es noch immer schwerfällt, den ukrainischen Freiheitskampf mit den bestmöglichen Waffen der Verteidigung zu versorgen. Mit der Ukraine steht die gesamte europäische Zukunft auf dem Spiel, auch die Freiheit in Deutschland. Natürlich fällt es Demokratien schwerer, „Zähne zu zeigen“. Mehrheiten müssen immer wieder gewonnen werden. Um die muss die Politik aber auch kämpfen wollen. Berlin überlässt es derzeit den Politikern der Grünen, auf den Ernst der Lage hinzuweisen. Der Bundeskanzler an der Spitze der Sozialdemokraten hat der deutschen Nation noch nicht klargemacht, dass unser Beitrag zum Überleben der Ukraine nicht nur im Waffenliefern besteht, sondern auch darin, auf Energie zu verzichten und damit womöglich auch auf eine warme Stube im Winter.

Bisher werden vor allem die Haushalte geschützt und die Unternehmen, die die Energie brauchen, sollen allen voran verzichten. Tatsächlich müsste dafür geworben werden, dass wir alle, auch privat sparen. Wenn der FDP-Politiker Kubicki befindet, er lasse sich von niemandem sagen, wie lange er unter der Dusche stehen solle, dann klingt das nach liberalem Stolz, zeigt aber vor allem einen Mangel an Solidarität. Wir sollten im Winter weniger heizen – dafür aber Pullover tragen. Noch fehlt die große Rede von Bundepräsident Steinmeier, der den Bogen schlägt und deutlich macht, dass man auch heute Diktaturen nur besiegen kann, wenn man im Großen und Kleinen Solidarität zeigt und bereit ist, sich die Freiheit und Demokratie auch etwas kosten zu lassen. (jöb.)