Italien bekommt eine tragfähige Kompromissregierung

(Lesezeit 5 Minuten) Nach 88 Tagen der Regierungskrise, die beinahe zu einer Staats- und Verfassungskrise geworden wäre, hat Italien nun doch noch – nach einem zweiten Anlauf – ein Kabinett. Am Freitag um 16:00 Uhr werden der in Florenz lehrende und bisher in der Politik unbekannte 51 Jahre alte parteilose Ökonom Giuseppe Conte und sein Team vereidigt. Conte soll eine Koalition aus zwei ungleichen populistischen Bewegungen führen, die am 4. März siegten und seither gemeinsam die Mehrheit in beiden Kammern haben. Die rechtspopulistische Lega unter Matteo Salvini gebärdete sich im Wahlkampf und bei der Regierungsbildung zunächst vor allem antieuropäisch, will keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen und Italien aus dem Euro führen; während die „Bewegung Fünf Sterne“ unter dem ebenso ehrgeizigen Luigi Di Maio vor allem für soziale Geschenke wie das Grundeinkommen für Langzeitarbeitslose eintrat. Das neue Kabinett aus nur 18 Mitgliedern verspricht nun aber mehr eine Regierung der Techniker zu werden als eine revolutionäre Anti-EU-Politik treiben zu können. Womöglich hat sich Staatspräsident Sergio Mattarella auf ganzer Linie durchgesetzt, und Europa kann aufatmen.
Die unterschiedlichen Partner eint nach ihren bisherigen Plänen, dass sie von rechts und links das ohnedies schon hoch verschuldete Italien mit Mehrausgaben in Höhe von bis zu 100 Milliarden Euro jährlich weiter in den Staatsbankrott führen wollen: Diese Regierung wolle den Italienern dienen und nicht der EU oder den Banken, hieß es immer. Daneben beunruhigte den Staatspräsidenten während der Regierungsbildung den Vorschlag des 81 Jahre alten Ökonomen Paolo Savona als Finanz- und Wirtschaftsminister. Der greise Savona bezeichnet den Euro als „deutschen Käfig“ und die EU als einen gegenüber kriegerischen NS-Zeiten nunmehr „friedlichen Versuch“ deutscher Hegemonie in Europa. Er habe einen Plan für den EU Austritt in der Schublade, heißt es. Die Sicherheitsdienste sind schließlich beunruhigt darüber, dass beide Gruppen für ein Ende des Boykotts gegenüber Russland eintreten; die Lega sogar Gelder aus Moskau erhält. So erschien nun aus wirtschaftlicher und politischer Sicht die Einheit der EU neuerlich bedroht, der „Spread“ hatte bereits wieder bedrohliche Höhen erreicht.
Aber beim Programm und der Wahl von Savona war der Druck von Staatspräsident Mattarella so stark, dass letztlich aus der Vereinbarung alle offen antieuropäischen Deklarationen herausgenommen werden mussten und Savona auch nicht mehr das Schatzamt bekommt. Der Staatspräsident hat nämlich nicht nur die Macht, Ministerpräsidenten zu designieren und Minister abzulehnen. Zu seinem Auftrag, die Verfassung zu schützen, gehört es eben auch, die in Art. 11 verankerte Zugehörigkeit Italiens zu EU abzusichern und damit auch EU-Beschränkungen in Bezug auf den Haushalt zu garantieren. Ausdrücklich berief sich der Präsident darauf, dass er sich auch um die Einlagen der italienischen Sparer kümmern müsse. Deswegen dürfe es nicht zu einer neuen Finanzkrise kommen.
Um Savona gab es in der vergangenen Woche ein zähes Ringen. Lega-Chef Salvini wollte ihn augenscheinlich unbedingt durchsetzen. Tatsächlich ging es dem Lega-Chef aber wohl darum, das Bündnis und eine Regierung zum Platzen zu bringen, um möglichst rasch Neuwahlen herbeiführen zu können. Das hätte nämlich – nach den Umfragen – zu einem noch größeren Triumph der Lega und einem Einbruch der Sterne geführt. Darum setzte sich Sterne-Chef Di Maio in letzter Minute – schon hatte der Präsident eine technische Regierung geplant – für einen Kompromiss ein und konnte ohne Gesichtsverlust für Salvini durchsetzen, dass Savona nun nicht mehr Wirtschaftsminister sondern „Europaminister“ wird; freilich ein Amt ohne Geschäftsbereich also ohne einen größeren administrativen Apparat und großes Budget im Büro des Ministerpräsidenten. Hier kann Savona trommeln wie es ihm behagt – aber ohne Zähne.
Ins Finanzministerium zieht hingegen der Volkswirtschaftsprofessor Giovanni Tria ein. Der 69 Jahre alte parteilose Präsident der Wirtschaftsfakultät der römischen Universität Tor Vergata gilt zwar als „nicht unkritisch gegenüber der EU“, aber er will Italien im Euro halten. Einer Meinung mit Savona sei Tria hingegen in der Kritik an Deutschland, heißt es. Außenminister wird der Europapolitiker Enzo Moavero Milanesi, der schon in den Regierungen Monti und Letta Minister für Europäische Angelegenheiten war. Milanesi gehörte auch schon zur EU-Kommission. Der Jurist lehrt EU-Recht an der bekannten Wirtschaftsuniversität Luiss in Rom und diente als Richter am Europäischen Gerichtshof. Damit schickt das Chaos-Bündnis aus Lega und Sternen einen gestandenen Europäer ins Außenamt.
Und die beiden Rädelsführer: Der Lega-Politiker und bisherige EU-Abgeordnete Salvini (45) übernimmt das Innenministerium und wird die Flüchtlingspolitik kontrollieren; womöglich nach seiner bisherigen Devise: alle Ausländer sind ein Sicherheitsrisiko. Der zweite stellvertretende Ministerpräsident an der Seite von Conte ist der Chef der Sternebewegung Di Maio (31). Er übernimmt das Ministerium für Arbeit, wirtschaftliche Entwicklung und Soziales. Bisher trat er für ein Grundeinkommen ein; womöglich wird das jetzt nachdem Modell Hartz IV geschaffen. Im Übrigen ist die Flat-Tax von 15 Prozent weiter im Gespräch. jöb.