Nach dem Duce nun eine Duchessa – Georgia Meloni sollte man nicht unterschätzen

(Lesezeit vier Minuten) Es ist schon sonderbar: Einhundert Jahre nach Mussolinis Marsch auf Rom und der Machtergreifung der Faschisten hat jetzt bei den Wahlen in Italien eine post-faschistische Bewegung gewonnen, die mit ihren Parteisymbol an Duce Mussolini erinnern will. Aber in Italien und andernorts regt das kaum jemanden auf. Der Sieg der Parteichefin Georgia Meloni von den „Fratelli d`Italia“ wird vielmehr weichgewaschen. Keine Teufel übernähmen da die Macht, heißt es in einer Zeitung. Dabei gemahnt die Flamme in den Farben der italienischen Trikolore auf der Partei-Flagge an das ewige Feuer auf dem Grab von Mussolini in Predappio in der Emiglia Romagna, dem Pilgerort der Faschisten und auch der neuen Sieger. Die Partei der Georgia Meloni steht zu ihrem Erbe, auch wenn die Duchessa den Duce und sein Erbe gerne als historisch überwuchert wegdeuten möchte. Gemeinhin werden Partei-Wappen in Italien oft verändert, nicht so bei den „Fratelli d`Italia“.

Gewiss, diese „Brüder Italiens“ sind nur eine von drei Parteien, die am Sonntag in beiden Häusern des Parlaments die Mehrheit errangen. Und wer sind die zwei anderen: Von der „Forza Italia“ zieht der politisch unsterblich erscheinende Greis Silvio Berlusconi in den Senat ein. Er wurde erstmals wieder in seinem Wahlkreis Monza nach Rom entsandt, nachdem ihm jedes politische Amt für Jahre durch eine Strafe nach schweren Steuervergehen verboten war. Berlusconi steht zwar – mit seinem Vize, dem Ex-EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani – für ein geeintes starkes Europa, vor allem aber für seine Eitelkeit. Als politisch zuverlässig gilt er jedenfalls nicht. Und der dritte Partner im neuen Rechts-Mitte-Bündnis ist die „Lega“, die mit dem irrlichternden Putin-Verehrer und EU-Schmäher Matteo Salvini an der Spitze, auch kein Vorvertrauen verdient. Wiewohl Italien mit Milliarden an Strukturhilfen von Brüssel unterstützt wird, rief Salvini noch vor dem Wahltag zum Protest gegen die EU-Parlamentspräsidentin Frau v. d. Leyen auf. Vielleicht wurde Salvini gerade auch wegen dieser kecken Anti-EU-Haltung mit – gegenüber den vergangenen Wahlen – deutlich geringerem Erfolg gewählt und so abgestraft. Vielleicht verliert Salvini darüber sogar bald die Macht. Die einstmals mächtige Lega ist jedenfalls nun der kleinste Partner im neuen Machtbündnis.

Mit den jüngsten Wahlen siegten die drei Parteien, die Ministerpräsident Mario Draghi trotz seines erfolgreichen Kurses für Italien und seiner Führungsrolle in Europa loshaben wollten. Die Mehrheit der Italiener war nach den Umfragen auch mit Draghi zufrieden und schalt zunächst die Regierungsstürmer; dann aber spielte sich in Italien das ab, was zum Beispiel jüngst auch die Stadt Palermo auf Sizilien erleben musste. Nach noch einmal zehn Jahren des erfolgreichen Wirkens von Bürgermeister Leoluca Orlando, den alle Welt stets auch für seinen Anti-Mafiakurs von den neunziger Jahren an gefeiert hatte, konnte er als Stadtvater nicht wieder kandidieren. Statt seiner zog ein konservativer Politiker genau aus jenem Lager in den „Palazzo delle Aquile“ ein, das die Mafia der Cosa Nostra so lange mitgetragen hatte. Da möchte man nach dem Verstand der Wähler fragen. Tatsächlich ist die italienische Wählerschaft ziemlich verwirrt, wenn nicht ratlos. Nur gut zwei Drittel der Wahlbürger Italiens gingen am vergangenen Sonntag zur Wahl; es muss auch an den „alten weißen Männern“ liegen, die nicht in der Lage sind, charismatische und politisch versierte jüngere Kandidaten ins Rennen zu schicken. Orlando hatte es nicht verstanden, einen Nachwuchspolitiker zu fördern. Und in Rom wurde jetzt das Rechts-Mitte-Bündnis wohl auch deswegen gewählt, weil es sich mit der Meloni als ein neues Angebot darstellt – endlich mal eine Frau!

Aber wer ist diese Frau, die sich heute so bürgerlich und mütterlich – als Mama einer Tochter – gibt; die für die herkömmliche Familie eintritt und gegen gleichgeschlechtliche Partnerschaften, auch wenn sie selbst in wilder Ehe lebt; die einen harten Kurs gegen Putin unterstützt, aber zugleich europakritisch ist? Giorgia Meloni wuchs nach dem Bruch der Ehe ihrer Eltern in Roms Arbeiterviertel Garbatella auf. Schon mit 15 Jahren wurde sie bei den jungen Faschisten aktiv. Intelligenz und Ehrgeiz halfen ihr zum Aufstieg. Sie kann männlich hart kämpfen. Zunächst gehörte sie zur Jugendbewegung des „Movimento Sociale Italiano“ (MSI), einer 1946 von Überlebenden des faschistischen Regimes gegründeten Partei. Die ging 1995 in der „Alleanza Nazionale“ (AN) auf. Das junge Mädchen ging mit; hier ist sie zuhause gewesen – in offenbar jeder Hinsicht.

Die Duchessa gehörte zunächst zur Gruppe um Gianfranco Fini, einstmals Außenminister und bis 2008 Chef der Alleanza, der sich dann mit Berlusconi im bürgerlichen Mitte-Rechts-Block „Il Popolo della Libertà (PdL)“ verbündete und 2010 im Widerstand gegen Berlusconis Alleingänge ausbrach, um die liberal-konservative Partei „Futuro e Libertà per l’Italia“ zu gründen, die es heute wohl nicht mehr gibt. Fini jedenfalls schwor dem Postfaschismus ab und ging den bürgerlichen Weg. Vielleicht verbot Meloni der Ehrgeiz, mittlere Wege der Besonnenheit zu gehen. Erfolg war ihr jedenfalls wichtiger als Gesinnung, und so verließ sie den PdL auch erst 2012, als der in die Erfolglosigkeit abzustürzen drohte und gründete die „Fratelli d’Italia“. Als also im bürgerlichen Lager kein Erfolg mehr zu holen war, kehrte die Meloni zu ihren Ursprüngen und damit zur postfaschistischen Tradition zurück. Ihre „Brüder“ tragen dabei nicht nur das schon genannte Symbol der Mussolini-Flagge stolz voran; mit ihr verbrüdert oder verschwägert sind all die postfaschistischen Bewegungen, die in Italien immer wieder für unrühmliches Aufsehen sorgen. Zum Beispiel „Casa Pound“ – nach dem amerikanischen Poeten genannt. Offiziell sind die Casa-Pound Niederlassungen in Italiens Städten von der Bewegung der Mussolini Flagge ausgeschlossen, gleichwohl bildet diese postfaschistische „Kulturbewegung“ den Untergrund für Melonis Basis. Schlägertrupps finden sich darunter, die in Rom mit dem früheren Bürgermeister Gianni Alemanno verbunden gewesen sind.

Alemanno, später Melonis „Fratelli“-Gefährte, siegte 2008 – im zweiten Anlauf – als Bürgermeister der Hauptstadt und ließ sich mit „römischen Gruß“ (Hitlergruß) und „Duce! Duce!“-Rufen feiern. Der Mann mit dem Keltenkreuz um den Hals beteuerte zwar immer wieder, dass er kein Faschist sei. Vielmehr gehöre der Totalitarismus in die Geschichtsbücher. Aber seine Zeit als Bürgermeister ging als Ära der „Mafia Capitale“ in die Geschichte ein. Das Netz seiner Freunde aus der Beamtenschaft der Stadt und den Kleinunternehmern – vor allem im Bauhandwerk – bescherten Rom eine Hochzeit der Korruption. Es kam zu Prozessen, Alemannos Verurteilung. Aber noch heute ist viel von Alemannos neofaschistischem Netzwerk lebendig – vor allem bei den Stadtwerken für Wasser, die Elektrizität oder dem Müll. Alemannos Recken und Nymphen sorgen im Blaumann für den Schmutz in Roms Straßen.

Auch der engste Kreis um Meloni hat sich nicht – so wie Fini – gehäutet. Zu ihm gehört nach wie vor ein Francesco Lollobrigida, der Fraktionschef der „Brüder“ in der Abgeordnetenkammer und Ehemann von Melonis Schwester. Als Regierungsmitglied der Region Latium ließ er ein Mausoleum für Rodolfo Graziani errichten lassen, den faschistischen General, dessen Name für die schweren Kriegsverbrechen des Mussolini-Regimes in Äthiopien steht. Letzthin sind diese treuen Gefährten den Hintergrund getreten. Sie wollten schließlich auch zur Macht. Aber wollen sie nicht jetzt vielleicht auch endlich wieder Posten haben? Werden sie wohlmöglich wieder auf der Straße in Schlägertrupps auftreten, wenn eine Zeitung womöglich gar die Duchessa angreift? Wird sich vielleicht das politische Klima insgesamt verhärten?

Der liebenswürdigen Meloni, der man gerne mal die Hand schüttelt und die auch fröhlich plaudern kann, solange sie etwaig über sie Gedrucktes kontrolliert, soll dieser Tage ihren gesamten Mannschaft jeden Kommentar zur politischen Lage im Land verboten haben. Sie will sich ihren Start nicht vermasseln lassen, braucht sie doch zunächst den Präsidenten, der sie mit der Regierungsbildung beauftragt. Präsident Sergio Matarella ist aber keineswegs als Freund von Faschisten jedweder Art bekannt. Damit stellt sich schon das erste Problem für Frau Meloni. Sie ist politisch weitgehend allein, hat keineswegs eine große Anzahl von Parteigängern, mit denen man Staat machen kann. Berlusconis Partei und die Lega haben es da leichter. Aber sie sind nur Juniorpartner. Meloni wird alles versuchen, um sie klein zu halten.

Bei den Weichwäschern heißt es gerne, der Spielraum der neuen Regierung sei gering, der Haushalt fürs kommende Jahr werde noch von der Draghi-Regierung vorformuliert und die EU-Mittel flössen nur nach den von Draghi vereinbarten Regeln. Da darf man gespannt sein, wann die Wähler der Meloni erstmals aufmucken, – nicht die breite Masse; aber diejenigen, die den Postfaschismus wählten, um ihn auch zu bekommen – bei sozialethischen Fragen, gegenüber „kriminellen Immigranten“, bei den Rechten diverser Minderheiten oder eben bei dem Programm der „ewigen Flamme“ Mussolinis. Viele freilich sagen, das sei auch nicht schlimm; nach einem halben Jahr sei dann eben die Ära Meloni zuende. Auch in Rom werde der Espresso nicht so heiß getrunken, wie er gebraut wird. Hoffentlich! (jöb.)